Reise ins Herz Frankreichs (3) – Die ganze Größe Frankreichs
Weiter an der Loire - hinein in das feudale Frankreich, wo sich Schlösser und atemberaubende Landschaften und große Geschichte aneinander reihen…
Sommerserie – Diese Serie ist 2015 erschienen, doch da sie selbst nach neun Jahren immer noch viele Leserinnen und Leser hat, veröffentlichen wir sie erneut. Hinweis: In diesen neun Jahren hat sich Frankreich stark verändert. Insofern kann man diese Serie fast wie ein Zeitdokument lesen.
(2. September 2015, KL) – Frankreich hat eine Geschichte, die mit der Deutschlands nicht vergleichbar ist. In Frankreich gab es bereits einen Zentralstaat, als sich in Deutschland noch Preußen, Sachsen, Bayern und ungefähr 350 Klein- und Kleinststaaten gegenseitig die Köpfe einschlugen. Bis 1848. Zu diesem Zeitpunkt blickte Frankreich bereits auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück – der französische Staat diente bereits eine Weile als Dach für Bretonen, Elsässer, Okzitaner, Savoyarden, Korsen und die Bewohner der vielen, so unterschiedlichen Regionen Frankreichs. Wie mächtig und wichtig dieser Zentralstaat für die Entwicklung Frankreichs war, erkennt man deutlich, wenn man an der Loire entlang fährt.
Schlösser, Herrenhäuser und eine unglaubliche Grandezza säumen die Strecke entlang der Loire, diesem wunderbaren, ungezähmten Fluss mit seinen Sandbänken, Inseln und flachen Kähnen. Ob Schloss Sully, ob die Highlights Chambord oder Amboise – hier erkennt man die ganze historische Größe der französischen Nation. Natürlich kann man darüber meckern, dass die Weitläufigkeit von Chambord so organisiert ist, dass der Besucher nicht mal einen Blick auf das Schloss werfen kann, ohne vorher bezahlt zu haben, aber das ändert nichts an der Großartigkeit dieser Orte.
Erbaut wurde dieses Schloss von François I., der in seinem Leben ganze 40 Tage zum Jagen in diesem schier unglaublich großen Schloss verbrachte. Er wollte dieses Schloss unbedingt, um einerseits fremde Potentaten zu beeindrucken, andererseits um seinem Volk deutlich zu machen, dass es in Frankreich exakt einen König gibt, der die ganze Nation eint (und natürlich, weil er sich wie alle Könige langweilte und gerne in den wildreichen Wäldern rund um Chambord jagen ging…). Man stelle sich die Wirkung auf die Menschen vor, wenn der königliche Tross mit 18.000 (!) Pferden von Versailles nach Chambord zog – das war die Sichtbarmachung der Macht des zentralen Herrschers.
Beim unendlichen Prunk und Luxus entlang der Loire geht es aber nicht nur um die Zurschaustellung von Macht – hier wurde tatsächlich regiert, intrigiert und das Schicksal Frankreichs bestimmt. Wenige Regionen Europas sind derart reich – nicht nur an schier unglaublich schönen Aussichten, sondern auch an Anekdoten. Es gibt kaum einen Ort, an dem man nicht mit der Nase auf die Historie Frankreichs stößt. Nicht etwa auf die Geschichte der jeweiligen Region, nein, auf die Geschichte Frankreichs.
Wie beispielsweise in Saint-Germiny-des-Près, kurz vor Orléans, wo man in einer kleinen Kirche ein aus 130.000 Steinchen bestehendes karolingisches Mosaik bewundern kann, vor dem sich bereits Karl V. verneigt haben soll. Oder das Schloss im malerischen Städtchen Meung-sur-Loire, wo der aufmüpfige Dichter François Villon im Kerker die Wasserfolter erdulden musste, bevor ihn der an diesem Tag gut gelaunte König bei einem Aufenthalt in Meung begnadigte. Oder in Amboise, wo ein gewisser Leonardo da Vinci das machte, was man heute Event Management nennt – er organisierte die Feste auf dem Schloss und feierte natürlich selber kräftig mit. Wo man hintritt, erfährt man französische Geschichte, Größe, Macht und nationalen Zusammenhalt. Eine Dimension, die uns Deutschen völlig abgeht. Verständlich, wenn die eigene Geschichte als Nation gerade mal 200 Jahre alt und derart negativ durch Kriege und Zerstörungen besetzt ist. Natürlich gab es auch französische Aggressionen auf europäische Nachbarn, nicht zuletzt durch Napoleon I., jedoch waren diese weniger von diesem dumpfen Nationalismus begleitet, dessen Aufflackern wir in Deutschland seit 200 Jahren immer wieder mühsam bekämpfen müssen. Chauvinismus, klar – Nationalismus, nein.
Morgen lesen Sie hier, warum sich im Anjou ein ganzes Dorf in die Erde eingebuddelt hat, woher die Champignons de Paris kommen (nicht aus Paris, so viel sei schon mal verraten) und wie pfiffig die Franzosen ihre Lebensumstände optimal nutzen.
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