René Schickele, ein großer Europäer und sicher kein Autonomist

Vor 75 Jahren starb der Dichter René Schickele in Vence (Südfrankreich). Und niemand sollte sich einfallen lassen, sein Andenken zum Kochen einer „autonomen Suppe“ zu missbrauchen.

Der Dichter René Schickele starb vor 75 Jahren. Er war ein Vordenker für Europa und die deutsch-französische Integration. Foto: BNU Reference number 615773 / Wikimedia Commons

(KL) – „Ich bin“, sagte René Schickele über sich selbst, „ein französischer Bürger und ein deutscher Dichter“ – und diese Aussage beschreibt sein Lebenswerk. Der 1883 in Obernai geborene Schriftsteller war der Prototyp einer deutsch-französischen Persönlichkeit, ein Visionär eines humanistisch geprägten Europas, ein Vordenker der deutsch-französischen Beziehungen, die ein für alle Mal Schluss mit den Konflikten der Vergangenheit machen – und er schrieb in drei Sprachen: Deutsch, Französisch und im elsässischen Dialekt.

René Schickele stand dabei wie ein Fels in der Brandung gegen Nationalismus und Krieg. Nachdem er den Schrecken des I. Weltkriegs erleben musste, wusste er, warum er die Ideen des Nationalismus und des Hasses kategorisch ablehnte. Sein ganzes Werk war das Bauen von kulturellen Brücken zwischen der deutschen und der französischen Sprache. Nur wenige Autoren beherrschen mit solcher Tiefe und Eleganz beide Sprachen und deren Feinheiten – Schickele nutzte seine Feder als Waffe gegen die Ignoranz, den Hass und nationalistische Ideen.

Und sicherlich hätte er den elsässischen Autonomisten verboten, sein Andenken als Nachweis der elsässischen Identität zu missbrauchen – Schickele, der europäische Bürger, hätte sich strikt gegen den Regionalismus „Rot un Wiss“ gewehrt, der im Rahmen der französischen Gebietsreform wieder an die Oberfläche gekrochen ist. Die elsässische Kultur? Na klar – Schickele liebte den elsässischen Dialekt, doch für ihn hörte die Region nicht mitten im Rhein auf. Als Kind dieser Region, der Schnittstelle zwischen Deutschland und Frankreich, also zwischen Nord- und Südeuropa, war ein Anhänger des rheinischen Humanismus. Eines Humanismus, der getreu Erasmus wenig Sinn für Grenzen hatte. Insofern ist es schlicht unzulässig, René Schickele für die Verteidigung autonomistischer Ideen heranzuziehen.

Wie schade, dass René Schickele schon 1940 gestorben ist, in dem Moment, in dem eines seiner beiden Länder das andere, Europa und die ganze Welt überfiel. Wie schade, dass er nicht die Phase der Aussöhnung zwischen beiden Ländern erleben durfte, wie schade, dass er die deutsch-französische Integration am Oberrhein und zwischen dem Saarland und Lothringen verpasst hat. Sicherlich hätte er die „Frankreich-Strategie“ einer Annegret Kramp-Karrenbauer unterstützt, gerne hätte er sich an den vielen Programmen zur Zweisprachigkeit beteiligt.

Das Werk von René Schickele stellt für uns eine Mission dar, eine Mission, unsere Anstrengungen für eine echte Integration entlang der früheren deutsch-französischen Grenze zu intensivieren. Denn je stärker die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind, desto stärker ist auch der Frieden in Europa.

Aber wer weiß, vielleicht saß René Schickele zu seinem 75. Todestag auf seiner Wolke und sah mit einem Lächeln herab auf das, was heute zwischen Frankreich und Deutschland geschieht. Da sollten es sich die Autonomisten lieber verkneifen, dieses Engelslächeln mit ihren Parolen zu stören…

2 Kommentare zu René Schickele, ein großer Europäer und sicher kein Autonomist

  1. Lieber Kai Littmann,

    Als Präsident der René-Schickele-Gesellschaft fühle ich mich durch ihren Artikel angesprochen. Völlig einverstanden mit Ihren Darstellung von René Schickele und seine Ideen. Sie unterstellen aber dass der Name René Schickele von Vereinigungen die die elsässische Kultur verteidigen, missbraucht wird. Von wem sprechen Sie? Von der René Schickele Gesellschaft? Da müssen Sie auch erläutern worin wir dem Gedanken Schickele untreu sind. Wir haben immer die elsässische Kultur im Sinne von Schickele als ein Zusammenfinden der französischen und der deutschen Kultur und als ein Bestandteil der Kultur des Oberrheines definiert. Wir haben die Territorialreform stark kritisiert, eben weil sie dazu führt das Elsass noch mehr von dieser doppelten Kultur und von dem Oberrhein abzukoppeln. Wenn auch Schickele kein Autonomist war, hatte aber wie die Autonomisten die Zerstörung der Zweisprachigkeit dem französischen Zentralismus vorgeworfen. Seit fünfzig Jahren bemühen wir uns den Namen Schickele zu rehabilitieren weil sein werk und seine Ideen immer noch unter Verdacht stehen. Wenn Heute auch die Autonomisten die Idee des geistigen Elsässertums übernehmen ist das kein Missbrauch von Schickele aber sein posthumer Erfolg.

    Jean-Marie Woehrling

    • Kai Littmann // 3. August 2015 um 14:49 // Antworten

      Lieber Jean-Marie Woehrling, ich bin der Ansicht, dass alle, die sich vor den Karren der Autonomisten haben spannen lassen, einen grossen Fehler gemacht haben, den das Elsass heute teuer bezahlt. Wie Sie ganz richtig schreiben, war René Schickelé niemals ein Autonomist, sondern dachte immer in grösseren, europäischen Dimensionen. Meiner Ansicht nach wäre es zielführender, hätte man sich von den Autonomisten distanziert und stattdessen die vielen, guten Argumente, die für eine Region Elsass gespriochen hätten, argumentativ vorgebracht, statt auf die Karte der regionalen Identität zu setzen. Wir in Baden-Württemberg wissen nur zu genau, dass sich eine regionale Identität NICHT durch eine Verwaltungsstruktur definiert, sondern etwas ganz anderes ist. Die “erzwungene” Zusammenlegung von Baden und Württemberg hat zu keinem Zeitpunkt dazu geführt, dass Badner oder Württemberger auch nur ein Stückchen ihrer Identität, ihrer Sprache, ihrer Kultur verloren hätten. Dass die auch anderswo als im Elsass verfolgten Demonstrationen für eine Region Elsass nicht auf Argumente, sondern das Schüren irrationaler Ängste gesetzt haben, hat dem Elsass einen nachhaltigen Schaden zugefügt. Ich bin davon überzeugt, dass René Schickelé auf keiner dieser Demonstrationen aufgetreten wäre, sondern stattdessen bei vielen, inhaltlich und nicht emotional ausgerichteten Diskussionsveranstaltungen mitgewirkt hätte. Mit freundlichen Grüssen Kai Littmann

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