Sacharow-Preis: Warum Nawalny und nicht Assange?

Der diesjährige Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments geht an den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Und einmal mehr verschließt man die Augen vor dem skandalösen Schicksal von Julian Assange.

Julian Assange wäre ein mindestens ebenso würdiger Sacharow-Preisträger gewesen wie Alexei Nawalny... Foto: New Media Days / Peter Erichsen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Mit hohen Auszeichnungen ist das so eine Sache – es gibt immer mehr Kandidaten, als es Preise gibt, doch langsam fällt auf, dass alle wichtigen „westlichen“ Preise wie der Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments oder auch der Nobel-Preis systematisch an demjenigen vorbeilaufen, der solche Auszeichnungen verdient hätte und diese auch gut brauchen könnte – Julian Assange, der weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh bei London schmort, obwohl er nichts getan hat, was seine Inhaftierung rechtfertigen würde. Doch die europäischen Institutionen und Regierungen tun sich mit dem Fall Assange erstaunlich schwer.

Alexei Nawalny, der momentan unter fadenscheinigen Anschuldigungen im Gulag inhaftiert ist, ist zwar sicher auch ein Symbol für den Kampf um Freiheit, doch stellt sich die Frage, ob der ihm verliehene Sacharow-Preis nicht „politisch“ vergeben wurde, da er eine prächtige Gelegenheit darstellt, Wladimir Putin eine lange Nase zu drehen.

Bei der Bewertung dieser Entscheidung sollte man auch den politischen Hintergrund Nawalnys berücksichtigen, der lange sehr nah an ultranationalistischen Gruppen gearbeitet hat und im Grunde einer derjenigen Oligarchen ist, bei denen die westliche Welt die Nase rümpft. Dass ihm durch die russische Regierung großes Unrecht wiederfährt, dass er nur hauchdünn einem Mordanschlag entgangen ist, den der russische Geheimdienst sicher nicht ohne Auftrag des Kremls durchgeführt hätte, ist richtig. Dass er als Oppositioneller des russischen Regimes teuer für seine Haltung bezahlt, steht auch außer Frage.

Aber dennoch wäre der Sacharow-Preis bei Julian Assange besser aufgehoben gewesen. - Seit fast einem Jahrzehnt wird Julian Assange in Großbritannien festgehalten, zunächst in der Botschaft Ecuadors, dann im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, obwohl sich alle Anschuldigungen gegen ihn als konstruiert herausgestellt haben und fallengelassen wurden. Bleibt der amerikanische Auslieferungsantrag, denn die USA wollen Assange in die Hände bekommen, um an ihm ein Exempel zu statuieren. In den USA erwarten Assange 175 Jahre Gefängnis, so dass eine Auslieferung desjenigen, der amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und anderen Ländern dokumentiert hat, einem Todesurteil gleichkommt. Das „Verbrechen“ von Julian Assange besteht darin, die Weltöffentlichkeit über amerikanische Kriegsverbrechen informiert zu haben. Dafür verdient der Mann Anerkennung, Auszeichnung, die Freiheit und nicht etwa, in einem britischen Gefängnis zu darben.

Doch Europa hat Probleme mit dem Fall Assange, denn niemand möchte es sich mit den Amerikanern verscherzen. Da opfert man lieber einen Julian Assange, damit der Freihandel ungetrübt weitergehen kann. Kein europäisches Land hat Assange Asyl gewährt und seine Überstellung aus dem britischen Gefängnis beantragt, die EU hat keinerlei Anstrengung unternommen, um das längst überfällige Europäische Asyl einzuführen, keine europäische Institution hat die Briten unter Druck gesetzt, den mit Edward Snowden wohl bekanntesten Whisleblower freizulassen. Stattdessen verabschieden die Institutionen und nationalen Regierungen wohlklingende Texte zum Schutz von Whistleblowern, doch all das geht an Julian Assange vorbei.

Einmal mehr ist die Saison der großen, internationalen Auszeichnungen vorüber gegangen, ohne dass dabei der Name Julian Assange gefallen wäre. Und das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Wir leben im Jahr 2021 und weder die europäischen Institutionen, noch die europäischen Regierungen müssen noch den Schwanz vor der USA einziehen. Der Sacharow-Preis, den man Alexei Nawalny natürlich gönnen kann, wäre bei Julian Assange besser aufgehoben gewesen. Dadurch, dass Europa wegschaut und die Briten ihr perfides Spiel mit Assange spielen lässt, macht sich die EU zum Komplizen der USA. Und trägt damit auch eine Mitschuld an allem, was Julian Assange weiterhin passieren wird.

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