Schafft Deutschland Europa ab?

Seit Montag wird an allen deutschen Grenzen wieder kontrolliert. Damit ist das Schengen-Abkommen, eine der wichtigsten Errungenschaften Europas, nur noch Makulatur.

Durch das Aushebeln des Schengen-Abkommens erreicht man auch kein sicheres Europa. Sondern man schafft Europa ab. Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – „Wir erleben gerade ein Rat Race, wer Ausländer schlechter behandelt“, sagte der Journalist Jakob Augstein und was das konkret bedeutet, erleben wir seit gestern wieder an allen deutschen Grenzen. Was einmal die Personenfreizügigkeit im Rahmen des Schengen-Abkommens war, ist für mindestens sechs Monate abgeschafft und zum zweiten Mal nach der Covid-Pandemie geht Deutschland einen gefährlichen Alleingang, indem es den freien Verkehr zwischen den Schengen-Staaten einfach stoppt. Für die Menschen in den Grenzräumen ist dies eine inakzeptable Einschränkung der Bewegungsfreiheit und ein Hindernis in den grenzüberschreitenden Regionen. Man könnte das Gefühl bekommen, dass die AfD bereits überall mitregiert, denn die Regierungsparteien führen Maßnahmen ein, die auch aus der Feder der europafeindlichen rechtsextremen Partei stammen könnten. Doch wo ist der Sinn Europas, wenn man die Vorteile für die Menschen abschafft und sich nur noch darauf konzentriert, die Finanzmärkte glücklich zu machen?

Haben die üblen Erfahrungen der Grenzschließung 2020 nicht gereicht? Seit vielen Jahren arbeiten viele Menschen daran, Grenzen zu öffnen, Begegnungen und Austausch zu fördern, gemeinsame Lebensräume zu schaffen und nun steuert Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dagegen, um eine vermeintliche Sicherheit zu schaffen, die durch diese antieuropäische Maßnahme gar nicht erreicht werden kann. Dabei schwingt die Mitteilung an die Menschen durch, dass dieses Europa nicht ihnen gehört, sondern einer Handvoll Mächtiger, die seit sie an der Macht sind, jegliches Vertrauen der Menschen verloren haben, von Wahlschlappe zu Wahlschlappe eilen und wenn Politiker wie Nancy Faeser so weitermachen, werden sie Europa tatsächlich abschaffen.

Wer aus der Europahauptstadt Straßburg in der benachbarten Ortenau arbeitet oder auch nur zum Einkaufen auf die deutsche Seite fahren will, erlebt ab sofort die gleichen Kontrollen wie an allen deutschen Grenzen. Ausländer stehen also ab sofort unter Generalverdacht, und Deutschland schert sich wenig um das Schengen-Abkommen, das uns Bürgerinnen und Bürgern eigentlich den freien Verkehr zwischen den Mitgliedsstaaten garantiert. Es sei denn, Deutschland ist dagegen und hebelt dieses garantierte Recht einseitig aus.

Doch wird man ein ohnehin schon schwer angeschlagenes Europa nicht dadurch retten, dass man die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte nach unten nivelliert oder gar abschafft. Doch im fernen Berlin, wo man mit grenzüberschreitenden Fragen ohnehin wenig am Hut hat, ist es den Entscheidern egal, wie das Leben in den Grenzregionen aussieht. Nancy Faeser wollte noch vor der Landtagswahl in Brandenburg eine populistische Maßnahme treffen, in der Hoffnung, damit die eine oder andere AfD-Stimme abzugreifen. Dass sie aus wahltaktischen Gründen europäische Grundrechte verletzt, wäre bereits ein Rücktrittsgrund.

Man fragt sich in der SPD, warum die Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen nur 7,5 und 6,1 % der Stimmen geholt hat? Wer mit Spitzenpersonal wie Nancy Faeser und dem sphinxhaften Olaf Scholz antritt, der holt eben solche Ergebnisse…

Die Reaktionen in der Region sind verhalten, obwohl sich alle über diese neue Behinderung des Grenzverkehrs ärgern. Die Bürgermeister von Kehl und Straßburg bitten um „maßvolles Vorgehen“, was immer das bedeuten soll. Letztlich kann es nur bedeuten, dass ab sofort entweder alle kontrolliert werden (was stundenlange Staus zur Folge hätte) oder aber diejenigen, die nach „Ausländer“ aussehen (und das wäre dann ein rassistisches Vorgehen). Rassische Kontrollen, ein feuchter Traum der AfD wird von einer SPD-Innenministerin möglich gemacht.

Dass die EU-Kommission unter deutscher Leitung nicht gegen diesen Anschlag auf Schengen vorgehen wird, ist klar. Immerhin ist die Präsidentin der EU-Kommission die Deutsche Ursula von der Leyen, die dieses zunächst auf sechs Monate befristete Aussetzen von „Schengen“ nicht stoppen wird. Da kaum anzunehmen ist, dass die Immigration in sechs Monaten beendet sein wird, darf man jetzt schon mit weiteren Verlängerungen rechnen und da passt es ja wunderbar, dass der Europäische Rat und das Europäische Parlament Ursula von der Leyen für weitere fünf Jahre die Schlüssel des Hauses Europa in die Hand gedrückt haben. Gewählt wurde Von der Leyen unter anderem von Rechtsextremen, deren Handschrift inzwischen in vielen nationalen Parlamenten und eben auch in den europäischen Instanzen nicht mehr zu übersehen ist. Wenn nun die anderen Parteien versuchen, rechtsextremer als die Rechtsextremen zu sein, wird sie dies nicht etwa stärken, sondern den Rechtsextremen weiter die Wähler zutreiben. Aber davor verschließt man in den Parteizentralen die Augen und beugt sich dem Populismus von rechtsaußen.

Der Neonationalismus, der wie eine Welle durch ganz Europa schwappt, wird weder die Immigration, noch die steigende Gewalt in der Gesellschaft beenden, und auch nicht die Sicherheit erhöhen. Das Außerkraftsetzen von „Schengen“ ist nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die ideenlosen Regierungsparteien abgewirtschaftet haben und weiter den Weg für die Machtübernahme der rechtsextremen Europagegner vorbereiten. Allerdings sollte sich dann niemand mehr über die katastrophalen Wahlergebnisse der Regierenden wundern – sie haben nichts anderes verdient. Stellt sich nur die Frage, wen man künftig wählen soll. Denn weder unfähige traditionelle Parteien, noch Extremisten, werden die Herausforderungen für unsere Länder und Europa stemmen können. Der Autoritarismus, der sich gerade überall wieder festsetzt, hat noch nie zu etwas Positivem geführt. So oder so, die Grenzkontrollen, die Deutschland einseitig wieder eingeführt hat, werden keine Probleme lösen, sondern neue Probleme schaffen.

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