Schnell nochmal durchatmen…

Ab dem 21. Juli ändert sich das Leben für viele Franzosen – wer nicht geimpft ist, wird zum Paria. Bis es soweit ist, melden die Freizeitparks „ausverkauft“…

Disneyland - in 48 Stunden heisst es dort für Nicht-Geimpfte "wir müssen leider draussenbleiben"... Foto: Sean MacEntee from Monaghan, Ireland / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Für diejenigen Franzosen, die (noch) nicht geimpft sind, beginnt nächste Woche eine schwierige Zeit – sie sind von Präsident Macron zu Parias der französischen Gesellschaft erklärt worden. Keine Restaurants mehr, kein Kino, kein Zugfahren, keine Flugreisen mehr und dazu hat der Präsident es geschafft, die andere Hälfte der Franzosen gegen die Nicht-Geimpften aufzuhetzen. Der Countdown läuft und viele der Nicht-Geimpften versuchen, die letzten Tage und Stunden vor ihrem Paria-Dasein fröhlich zu nutzen. Disneyland Paris und auch der Parc Asterix nördlich von Paris sind in den kommenden Tagen ausverkauft.

Dabei zieht sich das Netz um die Impfzweifler immer enger zusammen. Müssen ab dem 21. Juli alle Erwachsenen ab 18 Jahren einen Impfpass vorlegen, gilt diese Regelung ab dem 30. August auch für 12-17jährige.

Die Spaltung der französischen Gesellschaft ist vollzogen und Emmanuel Macron hat sein Ziel erreicht. Niemand spricht mehr von anderthalb Jahren Lügen und einem katastrophalen Pandemie-Management durch die Regierung – die Franzosen haben jetzt neue Sündenböcke, an denen sie sich abarbeiten und über allem thront Emmanuel Macron, der sich als erfolgreicher Macher präsentiert. Dass er dafür einen tiefen Graben durch die französische Gesellschaft reißen musste, ist ihm egal. Was ihn interessiert, ist seine Wiederwahl 2022 und dafür kommt die Pandemie gerade zum richtigen Zeitpunkt.

Unwillkürlich denkt man an George W. Bush und die Anschläge von 9/11. Damals, kurz vor seiner Wiederwahl, lag der amerikanische Präsident bei 26 % in den Umfragen. Doch nachdem er den „Krieg gegen das Böse“ ausgerufen hatte, wurde er prompt wiedergewählt. Auf einen ähnlichen Effekt hofft Macron und das Schlimmste ist, dass dies klappen könnte. Denn plötzlich kommen die Macron-Jünger wieder ans Tageslicht und loben ihren Präsidenten dafür, dass er einen digitalen Totalitarismus eingeführt hat, mit dem man den impfunwilligen Bösewichtern den Garaus machen kann. So richtig anders hat es Erdogan in der Türkei auch nicht gemacht.

Aber werden die nicht geimpften Franzosen ihre Aussperrung aus der französischen Gesellschaft lange durchhalten? Seit der Verkündung der Ächtung Nicht-Geimpfter haben sich viele Franzosen schnell impfen lassen, was die Regierung als Erfolg feiert. Doch haben sich diese Menschen unter Drohung und Zwang impfen lassen, was nicht etwa bedeutet, dass sie nun Macron und seiner Truppe vertrauen, sondern sie haben sich, bildlich gesprochen, mit einer Pistole an der Schläfe impfen lassen.

Noch zwei Tage Freizeitpark und dann wird es heftig werden. In Südfrankreich sind bereits zwei Impfzentren abgefackelt worden und beide Seiten, sowohl Geimpfte wie auch Nichtgeimpfte, wetteifern in den sozialen Netzwerken mit Beleidigungen, Hassreden, Geringschätzung und natürlich – ohne Argumente. Denn nach wie vor blickt niemand durch, was allerdings auch niemanden davon abhält, seine persönliche Meinung als die allumfassende Wahrheit zu verbreiten und all diejenigen aufs Übelste zu beschimpfen, die eine andere Meinung haben oder auch nur Fragen stellen.

Die Vorstellung, dass sich die rund 25 bis 40 % Impfzweifler in Frankreich unter Druck brav einreihen werden, ist abenteuerlich. Da nützt es wenig, wenn am Samstag das Innenministerium die Anzahl Demonstranten im ganzen Land kleinrechnet – bereits an den kommenden Wochenenden wird diese Protestbewegung enorm anwachsen, in einer bunten Mischung aus Impfzweiflern, Gelbwesten, Linksextremen, Rechtsextremen und vielen Unzufriedenen, von denen es gerade in Frankreich mehr als genug gibt. Sollte sich dieser Protest anders als 2018 die Gelbwesten organisieren, steht der Regierung eine extrem schwierige Endphase ihres Mandats bevor. Ob es wie immer ausreichen wird, diese Proteste militärisch zu unterdrücken, ist zweifelhaft. Nachdem man am Wochenende erste Bilder aus Paris gesehen hat, auf denen sich Polizeikräfte mit den Demonstranten verbrüderten, spielt Macron gerade „All in“. Doch beim Poker, das könnte ihm sein früherer Innenminister und Pokerprofi Christoph Castaner bestätigen, kann man bei „All in“ auch alles verlieren….

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