Scholz und Macron tauschen die Rollen

Bislang war das Ausspielen der Europa-Karte dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorbehalten. Der aber gibt sich momentan eher bedeckt und Olaf Scholz übernimmt seinen Part.

Emmanuel Macron und Olaf Scholz - zwei, die nicht in die gleiche Ricchtung schauen. Foto: Kantai Kishida / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Rede von Olaf Scholz an der Universität Prag erinnert stark an den „Offenen Brief“, den Emmanuel Macron vor drei Jahren in den größten deutschen Tageszeitungen veröffentlichte. Um von anderen Problemen abzulenken, zeichnet man europäische Visionen an die Tafel, die gut klingen, aber letztlich niemanden zu irgendetwas verpflichten. Denn das weiß Scholz genauso gut wie es damals Macron wusste: Für ambitionierte Reformvorschläge braucht man 27 Mitgliedsstaaten, die „Ja“ sagen und für die vorgeschlagenen Reformen wird es diese 27 „Jas“ kaum geben.

Die Karte „Ich bin ein europäischer Champion“ hat Macron inzwischen ausgereizt, sowohl in den Wahlkämpfen im französischen „Super-Wahljahr 2022“, als auch während der französischen Präsidentschaft der Union. Ergebnis – Fehlanzeige. Da wundert es nur wenig, dass sich Macron jetzt als erstes um die „Rentrée“ in Frankreich kümmert, als den Wiederanlauf nach den Sommerferien, der in Frankreich im Zeichen massiver sozialer Spannungen steht. Und da sich Macron zzum Thema Europa momentan eher bedeckt hält, springt eben Olaf Scholz in die Bresche.

Doch Scholz europäischer Vorstoß wird auch nicht von seinen eigenen Problemen ablenken können. So ist seine Rolle im „Cum-Ex-Skandal“ ebenso schwach wie seine Erinnerungslücken für Treffen und Gespräche, die dokumentiert und gerade erst drei Jahre her sind. Auch bei der Führung der Berliner Koalition macht Scholz keine „bella figura“, die Grünen und die FDP machen in ihren Zuständigkeitsbereichen weitgehend das, was sie wollen und Scholz zeigt bislang kaum Führungsqualitäten.

Auch Scholz persönliche Rolle in der Ukraine-Krise gibt Anlass zu Kritik, allgemein wird Scholz als entscheidungsschwach und nicht unbedingt zuverlässig betrachtet. Bei so vielen Problemen wundert es nicht, dass Scholz es einmal auf die Macron-Art versucht. Ein wenig positive Kommunikation in Krisenzeiten kommt immer gut an.

Nur – Scholz’ Europapläne werden den gleichen Weg gehen wie die 10 Vorschläge, die Macron damals in Deutschland veröffentlich hatte. Kein einziger Vorschlag wird die Hürde der Einstimmigkeit nehmen können, auch nicht der sehr sinnvolle Vorschlag, diese Regel abzuschaffen. Hierzu wird das Veto aus Ungarn, Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakei kommen, denn diese Länder werden den Schutz des Vetos nicht aufgeben, weil sie dann für Verstösse gegen „europäische Werte“ sanktioniert werden könnten.

Doch während Emmanuel Macron wenigstens noch sein Charisma für sich hat und zumindest den Eindruck von etwas Europa-Begeisterung an den Tag legen kann, versprüht Scholz weierhin den Charme eines Sachbarbeiters auf der KfZ-Zulassungsstelle und es fällt schwer zu glauben, dass er irgendjemanden für seine europäischen Ideen begeistern könnte.

Der deutsch-französische Motor Europas existiert nur noch auf dem Papier, in der Praxis gibt es diese Achse nicht (mehr). Aber interessant ist es doch, dass Olaf Scholz nun eine Strategie von Emmanuel Macron in Krisenzeiten anwendet. Der Erfolg dürfte dennoch bescheiden bleiben. Auf Olaf Scholz kommt, wie eigentlich auf uns alle, ein ziemlich heißer Herbst zu…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste