Schreck lass nach: „Der Schatzgräber“ von Franz Schreker in der Rheinoper

Franz Schreker war einer der angesagtesten Opernkomponisten im Deutschland der 1920er Jahre. Nach der fulminanten französischen Erstaufführung von „Die Vögel“ seines Zeitgenossen Walter Braunfels im Januar, schreckt nun sein „Schatzgräber“ in der Rheinoper Straßburg zum ersten Mal eine Bühne in Frankreich auf.

Oh Schreck, nicht Gold, Silber und Klunkern sind die wahren Schätze des Lebens. Allerdings erkennt man das meist, wenn es zu spät ist. Deshalb jetzt ab in die Rheinoper zu Schrekers Schatz... Foto: ONS Strasbourg

(Michael Magercord) – Die zwanziger Jahre werden goldene Jahre? Abwarten, nur soviel ist sicher: es wird ein verrücktes Jahrzehnt. Alle sind überdreht und gleichzeitig wie gelähmt. Man weiß nicht mehr, wie es weitergeht, nicht einmal, wie es am besten weitergehen sollte. Gleich zu Beginn ist es ein Jahrzehnt, das eigentlich auf die Couch gehört, ob die beim Therapeuten steht, in der Küche oder eben auf der Opernbühne. Also hinlegen und zuhören, auf die Bühne beginnt die Märchenstunde: Wir befinden uns nicht im Jahr 2022, sondern es war einmal in den 1920er Jahren…

„Hoppla, ein Galgen, das riecht nach Kultur“, spricht der Hofnarr im zweiten Aufzug der Oper „Die Schatzgräber“ von Franz Schreker, der mit bürgerlichem Namen „Schrecker“ hieß. Der erste ganz große Krieg war gerade vorbei und doch erschüttern seine Nachwirkungen die Menschen mehr denn je. Auf den Bühnen werden Werke gezeigt, die noch im Krieg entstanden sind. Franz Schreker setzte die letzte Note seiner erfolgreichsten Oper drei Tage nach dem Sturz der Monarchie im November 1918. Ihre Erstaufführung erfolgte 1920 und sie sollte die ganzen 20er Jahre hindurch immer wieder irgendwo in Deutschland aufgeführt werden. Schreker galt den einen als der neue Wagner, geriet aber ebenso schnell ins Visier der nationalen Rechte, schon 1932 etwa zog er auf deren Druck die Uraufführung seiner Oper „Christophorus“ in Freiburg zurück.

Dabei war Franz Schreker eigentlich bloß ein Märchenonkel, der allerdings die Märchen seiner Zeit erzählte. Seine Texte, die er selbst schrieb, waren von Psychologie durchtränkt. Das mag niemand, der nicht durchschaut werden will. Dabei schürft sein „Schatzgräber“ im tiefen Mittelalter in der Welt eines unglücklichen Königspaares. Es sucht nach einem verlorenen Schmuckstück, das gleichsam wie ein Aphrodisiakum wirkt. Es kriselt im Schlafgemach, was einer Staatsaffäre gleichkommt, ist doch die Thronfolge noch nicht gesichert. Allerdings war es nicht verloren, die hinterlistige Ehefrau des Hofnarren hat sich den Schatz gesichert, wobei sie nicht vor Lügen, Diebstahl und sogar Mord zurückschreckt. Am Ende aber wird der Schmuck sie nicht glücklich machen, im Gegenteil… Aber bis dahin gilt noch so manche Wendung der Geschichte durchzustehen, doch um die Moral des Märchens zu erkennen, muss man kein Psychologe sein: Die echten Schätze liegen in den immateriellen Werten und fündig wird der wahre Schatzsucher nicht in der Truhe, sondern im Herzen…

Das ist natürlich eine zeitlose Botschaft, so richtig sie wohl schon im Mittelalter war oder in Goethes „Schatzsuche“, so gilt sie in den 20er Jahren erst recht, und zwar sowohl in jenen vor hundert Jahren als auch in den unserigen. Vor hundert Jahren hatten sie – immerhin – den Krieg schon hinter sich, allerdings waren die Menschen durch ihn hinabgezogen in das nackte Leben, das so schmutzig wie sinnlich ist. Und sie wussten, wie es vor dem Krieg war: Wie erstarrt die Wünsche und Lebensentwürfe, wie groß das Machtgefälle zwischen ihnen und einer herrschenden Elite war. Im Krieg zerbröselten diese Gewissheiten ebenso wie der Glaube an eine feststehende Identität des Individuums. Mit der Psychoanalyse wurde klar: Wir sind nicht Herr im eigenen Haus.

Auf der Opernbühne stellt ein mittelalterlicher Hofstaat die Weltkriegsgesellschaft nach: Menschen, deren einstige Orientierung und Begeisterung im Nebel der Schlachtfelder aufgelöst wurde. Selbst der Künstler, der immer auch ein Narr ist, bemerkt erst, als es fast schon zu spät ist, wie sehr auch er sich in seinem Egoismus und Narzissmus, seiner Gier und erotischen Sucht verirrt hatte. Vor hundert Jahren gehörte Europa auf die Couch, und jetzt, wo in Europa wieder die Angst umgeht, „Der Schatzgräber“ auf die Bühne.

Diese neue, von der Kritik hochgelobten Inszenierung, die bereits in der Deutschen Oper Berlin zu sehen war, versetzt die Schatzgrube in einen mondänen Salon aus einer unbestimmten Zeit irgendwann im 20. Jahrhundert. Die Männer tragen Uniformen und Anzüge, die Frauen treten als Serviermädchen, die im Catering tätig sind, auf. Zwischen ihnen entspinnen sich die Händel, die sich gar bis zu rauschhaften und wüsten Orgien steigern lassen. Heute geht man nun einmal direkter zur Sache, obwohl doch eigentlich die Musik selbst die Szene auf ihre machtvolle subtile Weise aufscheinen lässt. Bei der Liebesnacht zwischen dem Narr und seiner Frau ersetzt Schrekers Musik im Grunde alles, was 1920 auf der Bühne nicht zeigbar war: Zärtlichkeit und Sex. Doch zwischen den Noten zu lesen, gehört heutzutage nicht mehr zu unseren größten Fähigkeiten.

In den vergangenen einhundert Jahren haben sich also wohl die Sensibilitäten verschoben, aber geblieben ist die Musik. Der Komponist hatte damals einen gelungenen Spagat zwischen neuster chromatischen Harmonik und den Erwartungen konservativer Opernfreunde hingelegt, der uns heute vielleicht ab und an ein wenig zu breit – sprich: schwülstig – ausfällt. Aber nur so formen sich die Töne zu diesem Rausch der Klänge – und so darf man in den fast drei Stunden in großen und tiefen Momenten ausgerechnet diesem herausforderndem Wechsel zwischen Spannung und Entspannung einen Aufruf an sein Zeitalter zur Orientierung am „Normalen“ verspüren, die Wolfgang von Goethe schon damals in seiner „Schatzsuche“ als den wahren Goldesfund in die Zauberformel gebracht hat:

Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.

Der Schatzgräber - Oper von Franz Schreker aus dem Jahr 1920
Libretto vom Komponisten
Neuproduktion der Rheinoper Straßburg in Kooperation mit Deutschen Oper Berlin

Dirigent: Marko Letonja
Regie: Christof Loy
Philharmonie Straßburg OPS

Opéra Straßburg
FR 28. Oktober, 20 Uhr
SO 30. Oktober, 15 Uhr
MI 2. November, 20 Uhr
SA 5. November, 20 Uhr
DI 8. November, 20 Uhr

La Filature Mülhausen
SO 27. November, 15 Uhr
DI 29. November, 20 Uhr

Tickets und Information: www.operanationaldurhin.eu

Rezital – „Laissez durer la nuit“
Die Mezzosopranistin Lea Desandre mit Lautenbegleitung von Thomas Dunford
Französische Hof-Arien aus dem 17. Jahrhundert
7. November in der Opera Straßburg

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