Schreibtischkompositionen – Teil 2 und 3 im PMC
Am Donnerstag und Freitag geht der “Zyklus Schostakowitsch” in die zweite Runde. Dieses Mal nicht zu 100 Prozent: die Symphonie Nummer 14 steht auf dem Programm der Straßburger Philharmoniker, doch zuvor erklingt Haydn.
(Von Michael Magercord) – Warum geht uns bestimmte Musik immer wieder nah? Egal, wie oft man sie schon gehört hat? So nah, dass sogar Diktatoren sich vor ihrer Wirkung fürchteten? Wer letzte Woche die Gelegenheit hatte, bei den Abonnentenkonzerten der Straßburger Philharmoniker Dimitri Schostakowitschs Cellokonzert und vielleicht mehr noch seine 15. Symphonie gehört zu haben, wird sich vielleicht dieselbe Frage gestellt haben.
Eine Antwort könnte der Sohn des großen Komponisten und Dirigent Maxim Schostakowitsch vor schon einigen Jahren gegeben haben: Nach der Aufführung ausgerechnet dieser 15. Symphonie erzählte er, wie er als Kind seinen Vater beim Komponieren erlebt hatte: Der saß nämlich einfach am Schreibtisch. Er schrieb und schrieb die Noten nieder, ohne jemals ans Klavier zu gehen. Wie ein Schriftsteller ging er vor, und schon fast folgerichtig erscheinen seine Symphonien wie vertonte Literatur – nur dass deren Inhalt zusammengefasst ist auf ihre sensitive Botschaft.
Dazu passt auch die Aussage, die der Komponisten zur Entstehung der 15. Symphonie getätigt hat: “Dieses Werk hat mich einfach mitgetragen”. Es hätte immer in seinem Kopf dagelegen und es brauchte nur noch niedergeschrieben zu werden. Seither wird gerätselt, ob der damals 65-Jährige schon ahnte, es werde seine letzte Symphonie sein. Übertragen in die Literatur wäre es also seine Autobiografie gewesen. Und es ist vielleicht dieses Vermögen, die reichen sinnlichen Lebensregungen in die gedrängte Form eines knapp einstündigen, in sich geschlossenen Werkes fassen zu können, die uns immer wieder aufs Neue berührt.
Uns bieten sich nun in Straßburg noch zwei weitere Abende, an denen man sich diesem Erlebnis erneut aussetzen kann. Zunächst steht diese Woche die 14., kommende Woche dann die 13. Symphonie auf dem Programm des OPS. Ihnen vorangestellt sind dieses Mal jeweils eine Symphonie von Haydn. Ob die Absicht der Programmgestalter, Schostakowitschs Werke mit den Stücken aus der Frühzeit der symphonischen Musik in eine – wie es in der Vorschau heißt – “Resonanz” zu bringen, aufgeht? Oder treffen da nicht doch zwei völlig anders geartete Formen und Entstehungsgeschichten aufeinander oder gehen – bestenfalls – aneinander vorbei? Die Gegenüberstellung des eher heiter-rasanten Haydn Stückes “die Jagd” über eine Fuchshatz mit der Symphonie Babi Jar über das Massaker an 50.000 Juden im Zweiten Weltkrieg lassen zumindest Zweifel über die Kompatibilität der jeweiligen sinnlichen Botschaften und ihrer Wahrnehmung aufkommen.
Zugegeben, sinnliche Wahrnehmung ist – gottlob – immer noch eine individuelle Kategorie. Für Maxim Schostakowitsch etwa birgt die erste Symphonie seines Vaters, die er als Kind im Konzertsaal gehört hatte, noch eine ganz andere sinnliche Erfahrung: Um den damals Dreijährigen während der Leningrader Uraufführung der 7. Symphonie im Jahre 1941 bei Laune zu halten, verabreichte ihm seine Mutter Bonbons: “Bis heute kann ich mich an ihren Geschmack erinnern, so gut haben mir nie wieder Bonbons geschmeckt”.
Straßburger Philharmoniker OPS
“Zyklus Schostakowitsch”
DO 31. Januar und FR 1. Februar
Haydn: Symphonie Nr. 49 “Die Passion”
D. Schostakowitsch: 14. Symphonie op. 135
Dirigent: Marko LETONJA
Sopran: Ekaterina BAKANOVA
Bass: Dimitry IVASHCHENKO
DO 7. und FR 8. Februar
Haydn: Symphonie Nr. 73 “Die Jagd”
D. Schostakowitsch: 13. Symphonie “Babi Jar” op. 113
Dirigent: Marko LETONJA
Bass: Pavlo HUNKA
Chor: RAM Nationaler Männerchor Estland
jeweils 20.00 Uhr im PMC im Stadtteil Wacken
Informationen und Tickets unter: www.philharmonique-strasbourg.com/
Das vollständige Gespräch mit Maxim Schostakowitsch finden Sie hier
Einspielung aller Symphonien des Vaters vom Sohn Maxim:
Supraphon 3890-2, 2006
10 CD-Box, Spieldauer: 11 h 53
Prager Symphonie Orchester FOK
Infos unter: https://www.supraphon.com/
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