Schulhof-Politik

Das Spektakel, das das politische Frankreich seit dem Sturz der Regierung Barnier veranstaltet, ist nur schwer zu ertragen. All das, damit Emmanuel Macron die Macht behalten kann.

Auf manchem Schulhof geht es gesitteter zu als bei den politischen TV-Debatten in Frankreich... Foto: Klaus-Dieter Keller / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Eigentlich wollte und sollte Emmanuel Macron gestern Abend den Namen des neuen Premierministers bekanntgeben. Alle Nachrichten-Sender hatten den ganzen Tag über Sondersendungen, die jeden Schritt des Präsidenten bei seinem Besuch in Warschau begleiteten („jetzt macht er sich auf den Weg zum Flughafen!“). Als dann die sensationelle Meldung aus Warschau kam, dass Macron seinen Besuch abkürzt, um nach Paris zurückzukehren, war man sich auf allen Sendern sicher, dass die Bekanntgabe des neuen Regierungschefs nur noch eine Sache von Minuten sei. Immerhin hatte der Präsident das ja versprochen. Bis der Elysée-Palast trocken gegen 19:30 Uhr mitteilte, dass Macron am gestrigen Abend gar nichts bekanntgeben würde, sondern die Franzosen heute vormittag per Kommuniqué informiert würden, wer künftig die politischen Geschicke des Landes leiten soll. Doch selbst, wenn Macron dieses Mal Wort halten sollte und tatsächlich einen Premierminister ernennt, so bedeutet das noch lange nicht, dass damit Ruhe in den politischen Betrieb einkehrt. Ganz im Gegenteil.

Denn ganz anders als beispielsweise in Thüringen oder Brandenburg, wo die erfolgreichen Regierungsbildungen in dieser Woche keineswegs einfacher als in Frankreich waren, geht es in Frankreich nicht um das Gemeinwohl, sondern einzig um die Frage, wie Macron seine „Macronie“ über die Zeit retten kann. Ein enormer Unterschied, denn man muss bedenken, dass Macron im letzten halben Jahr vier Wahlen deutlich verloren hat und die Franzosen keinerlei Zweifel daran gelassen haben, dass die „Macronie“ für sie schon vorbei ist. Der einzige, der das nicht wahrhaben will, ist der Präsident selbst.

Vier Wahlen? Ja, vier Wahlen. Erst die Europawahl, bei der die „Macronisten“ gerade noch auf 14,6 % der Stimmen kamen. Danach folgten die von Macron in seinem Ärger über das schlechte Abschneiden seiner Kandidaten bei der Europawahl hektisch anberaumten vorgezogenen Parlamentswahlen, die in Frankreich in zwei Wahlgängen stattfinden. Im ersten Wahlgang erzielten die „Macronisten“ 20,0 %, im zweiten Wahlgang schnitt die „Macronie“ zwar aufgrund des Rückzugs anderer Kandidaten anderer Parteien besser ab, verlor aber deutlich die Mehrheit. Und dann kam der Sturz der Regierung Barnier, den Macron freihändig eingesetzt hatte und das macht dann vier Niederlagen bei vier Wahlgängen in nur einem halben Jahr. Der politische Anstand hätte gewollt, dass Macron zum Wohle Frankreichs zurücktritt, doch der Mann denkt gar nicht daran.

Während nun ganz Frankreich wartet, wen Macron als nächstes aus dem Hut zaubert, reiste dieser erst einmal nach Warschau, wo er die Welt gestern mit so unglaublichen Erkenntnissen wie „nur ein dauerhafter Frieden ist möglich“ oder auch „Sicherheit in Europa gibt es nur mit den Europäern“ beglückte. Was derweil in Frankreich passierte, war Macron offensichtlich herzlich egal.

Doch was den Franzosen seit Barniers Sturz zugemutet wird, ist die perfekte Anti-Werbung für den politischen Betrieb. Seit Tagen geben sich die Spitzenleute (und diejenigen, die sich dafür halten) auf den TV-Sendern die Klinke in die Hand, nur um sich dann stundenlang gegenseitig mit den immer gleichen Slogans zu überbrüllen, so dass die TV-Zuschauer gar keiner Debatte mehr folgen können, weil es eben gar keine Debatte, sondern nur würdeloses Gebrülle gibt, was übrigens für die Vertreter aller Parteien gilt. Auf den TV-Sendern erleben die Franzosen „Debatten“, die einem Streit auf dem Schulhof ähneln, sonst aber keinerlei Erkenntnisgewinn bringen.

Um dann doch eine Macron-kompatible Regierung hinzuwurschteln, verlangt Macron von den übrigen Parteien (von den Abgeordneten seiner eigenen Partei „La République en Marche“ aka „Renaissance“ aka Ensemble! verlangt er nichts…), dass sie eine Art „Nichtangriffspakt“ eingehen und versprechen, die nächste Regierung nicht wieder durch ein Misstrauensvotum zu stürzen. Im Gegenzug verspricht Macron, dass diese nächste Regierung nicht den berüchtigten Verfassungs-Paragraphen 49.3 zieht, also Entscheidungen am Parlament vorbei trifft. Wie sagte schon Jacques Chirac: „Versprechen sind nur für diejenigen bindend, die an sie glauben…“.

Ginge es in dieser Situation um das Wohl Frankreichs, hätte sich Macron wohl kaum über die Wahlergebnisse hinweggesetzt, sondern diese respektiert und einen Ministerpräsidenten aus den linken Lager ernannt und dazu seine eigenen Abgeordneten aufgefordert, Kompromisse mit einer solchen neuen Regierung zu suchen. Doch Macron geht es einzig um Macron, selbst wenn Frankreich und die Franzosen dabei auf der Strecke bleiben.

Die Kandidaten, die momentan in der präsidialen Verlosung sind, sind alle nicht mehrheitsfähig. Und sollten die Sozialisten tatsächlich einwilligen, den nächsten Macron-kompatiblen Regierungschef mit einem solchen „Nichtangriffspakt“ zu unterstützen, dann muss die PS bei den nächsten Wahlen gar nicht mehr antreten, denn wenn die Stimmen für die PS am Ende bei Macron landen, wird wohl kaum ein PS-Stammwähler noch einmal für diese Partei stimmen.

Ohne, dass dies nötig gewesen wäre, hat Macron Frankreich in die tiefste Regierungskrise der V. Republik gestürzt. Fast schon witzig ist, dass er nun behauptet, das Chaos hätten andere ausgelöst (klar, alle, die nicht für ihn gestimmt haben, was ja in seinen Augen eine Art Majestätsbeleidigung ist). Dass der Mann dann aber von der Verantwortung seiner politischen Gegner spricht, selbst aber keinerlei Verantwortung für das Land und sein eigenes Handeln übernimmt, stimmt nachdenklich. Denn wenn Macron tatsächlich so bis 2027 weitermacht, wird Frankreich so nachhaltig ruiniert sein, dass es lange Jahre brauchen wird, bis das Land wieder halbwegs flottgemacht werden kann. Wer dachte, dass es mit Macron nicht noch schlimmer kommen könnte, sieht sich jeden Tag eines Besseren belehrt…

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