Segeln und Rudern und permanente Revolution

Der Schweizer Dieter Meier gab am Samstag ein Konzert im Spiegelzelt des Freiburger Zelt-Musik-Festivals - und beantwortete kurz vor dem Auftritt unsere Fragen.

Der Züricher Dieter Meier wurde als Sänger der Elektro-Pop-Band Yello weltberühmt - jetzt tourt er mit seinem ersten Soloalbum durch Deutschland; hier beim Soundcheck vor seinem Konzert am 2. August in Freiburg. Fotos: Arne Bicker

von Arne Bicker

Herr Meier, um einen Menschen begreifbar zu machen, bemühen wir gern Vergleiche. Mit wem würden Sie sich selbst vergleichen?

Eigentlich mit Niemandem. Ein paar Mal wurde der Schauspieler David Niven genannt, dass ich ihm gleiche, aber das sind ja nur Äußerlichkeiten. Jeder Mensch ist ein Gott, ein göttliches Wesen und etwas ganz Spezielles, und es gibt ihn nur ein Mal.

Sie kamen mir in den Sinn, als ich einen Auftritt des Schweizer Kabarettisten Andreas Thiel aus Bern sah; der erscheint vom Fuß bis zum Hals wie ein perfekter Gentleman, darüber aber, im und auf dem Kopf, wie ein Punk…

Der Mann mit der Irokesenfrisur? Ich glaube, ein Rebell oder ein Anarchist ist man hoffentlich ein Leben lang. Das heißt doch nur, dass man die Systeme in seiner unmittelbaren Umgebung immer wieder aufs Neue in Frage stellt. Anarchie ist permanente Revolution, und das sollte das Leben eigentlich sein. Auf dem unendlich langen Weg zu sich selber ist man eigentlich immer ein Anarchist, oder eben auch ein Punk.

Sind Sie also selber ein Beweis dafür, das der Satz ‚Punk ist tot‘ nicht zutrifft?

Das kommt darauf an, wie man Punk sieht. Wenn man nur die Stilrichtung der Musik sieht, dann ist das wohl nur noch eine Tradition, weil es ja nichts Neues mehr gibt unter der Punksonne. Aber Punk ist auch eine Lebenshaltung der Anarchie, nicht im Sinne des Bombenlegens, sondern im Sinne des Hinterfragens der bestehenden Systeme, auch der selbstgeschaffenen. Und in diesem Sinne ist Punkt überhaupt nicht tot.

Erinnern Sie sich an eine Band, in der Sie kurz vor der Gründung von Yello 1978 gesungen haben: ‚The Assholes‘?

Absolut, ja, wir waren sogar auf einer Tournee mit dieser Band. Damals hat man ja nicht wirklich geübt, man ging auf die Bühne und hat losgeschrien, in meinem Fall, alles total improvisiert und verrückt, oft total missglückt, aber manchmal irgendwie spontan-dilettantisch auch lustig. Ich habe auch noch in einer anderen Band gesungen, die hieß ‚Fresh Color‘; das Prinzip war auch dort: Man ging auf die Bühne und hat dort eigentlich erst angefangen zu üben.

Vor Jahren sagten Sie mal in einem Interview, Sie könnten nur eine Note singen – hat sich das inzwischen geändert?

Am Anfang war es so, dass ich kein guter Sänger war, weil ich völlig ungeübt war, und so kam es, dass einer der ersten Yello-Songs, Bostich, in Amerika ein Hit wurde, weil die Leute dachten, das sei eine Frühform von Rap und Boris Blank und ich seien zwei schwarze Rapper von der Westküste. Dieses ‘Standing at the machine every day für all my life I’m used to do it and I need it It’s the only thing I want‘ und so weiter – das war die aus der Not des Die-Noten-nicht-treffens geborene Tugend, dass ich mit meiner Stimme irgendetwas Rhythmisches gemacht habe. Mittlerweile treffe ich die Töne einigermaßen, vor allem, wenn ich die Harmonien höre, und habe mich als Sänger so ein bisschen entwickelt.

ej3Sie haben jetzt, nach zwölf Yello-Alben, Ihr erstes Soloalbum heraugebracht, ‚Out Of Chaos‘ – was treibt Sie im Alter von 69 Jahren noch auf die Bühne? Meine knallharte Recherche hat ergeben, dass es die finanzielle Not nicht sein kann…

Nein, das ist in der Tat nicht mein Antrieb. Nach fast vierzig Jahren Yello und diesem Singen im Studio, wo du alles tausend Mal machen kannst und dann auch aus tausend Schnitten ein Stück zusammenbaust, ist das nun etwas völlig anderes. Dieses Hier und Jetzt, dieses unmittelbare Dasein, diese Herausforderung, das ist eine wunderbare Sache. Wenn man dann spürt, dass ein Publikum plötzlich mitmacht – das ist wie ein Chor in der griechischen Tragödie. Das ist großartig! Man wird getragen wie ein Surfer auf einer Welle und segelt durch diese Auftritte hindurch. Das Gefühl ist absolut unerreicht, wenn man das durchgezogen hat.

Aber eigentlich sind Sie doch kein Segler, sondern eher ein Ruderer?

Das ist so, tatsächlich. Weil ich gerne hier und da ein Bierchen trinke oder ein Glas Wein, kompensiere ich das mit täglich vierzig bis fünfzig Minuten Rudern auf dieser wunderbaren Maschine, die heißt ‚Konzept 2‘. Alle Profis der Welt rudern auf dieser Maschine. Ich gehe überall nur in Hotels, in denen solch eine Maschine steht. Für mich ist das am Morgen großartig, die ganzen Muskeln und das ganze Körperbewusstsein jubilieren, wenn man diese Ochsentour, die das nun mal ist, hinter sich hat.

Wo bleibt denn da für Sie als Produzent von Biogemüse der Naturgedanke, wenn man sich zum Rudern noch nicht mal mehr auf den See begibt?

Diese Maschine ist doch sehr biologisch, die ist nur von mir angetrieben, sie macht keine Emissionen. Und auf den See zu gehen hat eigentlich zwei Vorbedingungen: Es braucht sehr viel Zeit, und man braucht eigentlich einen Partner, denn so ein Skiff alleine zu bewegen, ist ja nicht so lustig. Und drittens muss man auch wirklich gut rudern können. Und das Vierte ist, dass es auf dem Züricher See immer irgendwelche Motorboote gibt und Wellen. Man kann das nur ruhig genießen, wenn das Wasser wie Samt da liegt. Sonst ist es gefährlich, da kippt man sofort, wenn man etwas mit dem Ruder falsch macht, und dann ist man da in diesem kalten Wasser drin.

Hilft Ihnen dieses morgendliche Training dabei sehr alt zu werden, wie es Ihnen prophezeit wurde?

Das glaube ich schon. Ein irischer Wahrsager hat mir vor vierzig Jahren auf einer Kirmes in London aus der Hand gelesen. Nachdem ich ihm von Vornherein statt der geforderten fünf Pfund zehn gegeben hatte, sagte er ‚This is unbelievable‘ und dass ich einhundertdreiundzwanzig Jahre alt werden würde. Und ich glaube daran, weil ich so unglaublich gern lebe, und weil jeder Tag wieder auf wunderbare Weise etwas Neues ist und eine Herausforderung. Ich hoffe, dass mein Weg einhundertdreiundzwanzig Jahre dauert, bis ich das Kind geworden bin, das in mir drinsteckt.

Da wir über Geld und eine Honorarverdoppelung reden – Alexander Heisler, der Gründer des Zelt-Musik-Festivals in Freiburg, erwähnte bei der Auftaktpressekonferenz, dass er sich auf Ihr Konzert freue und Sie nicht nur ein Multi-Millionär, sondern ein Multi-Multi-Millonär seien. Er erhoffe sich nun, dass Sie das Festival eines Tages auch sponsorn würden.  Erdrückt Sie eine solche Erwartungshaltung?

Ich habe ein paar Dinge offensichtlich richtig gemacht, auch mit Hilfe meines Vaters, der als Bankier sehr gut und umsichtig war und mir sogenannte ‚Großmutteraktien‘ gekauft hat, von einer gut funktionierenden Bergbahn in Zermatt und der Firma, die die Schweizer Banknoten druckt. Aber Multi-Multi-Millionär ist doch ein wenig übertrieben. Das wird oft aus der Perspektive gesehen: ‚Jaja, der macht das so nebenbei, ein bisschen Kunst, ein bisschen Musik, ein bisschen Yello, ein bisschen Dieses und Jenes‘. Das gibt diesen Dingen irgendwie den Charakter einer Beiläufigkeit. Tatsächlich betreibe ich Dinge wie einen Abend lang auftreten oder vierzehn Songs für ein neues Album schreiben mit einem spielerischen Ernst. Aber ich bin nicht ein Multi-Millionär, der sich da irgendeinen Luxus leistet. In den ersten vierzig Jahren meines Lebens habe ich in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt. Als meine erste Tochter zur Welt kam, lebten wir in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung. Dort lebten wir aber wie die Könige, weil wir total frei im Geist waren. Diese ganzen materiellen Dinge bedeuten eigentlich Nichts; ich könnte irgendwo in einem Wohnwagen das Gleiche machen, wie ich es jetzt mache. Boris Blank und ich haben mit Yello getan, was wir sowieso getan hätten, das sind Ausdrücke des Sich-Selber-Findens. Wenn einem Jemand für diese Fußspuren Geld gibt, ist dies ein Nebeneffekt und ein Glück. Nie haben wir spekulativ Musik gemacht; hätten wir nie eine Platte verkauft, wäre Boris Blank immer noch Lastwagenfahrer als Brotberuf und würde nebenher acht Stunden am Tag Musik machen.

Die Frage der Schweizer Künstler Fischli & Weis ‚Findet mich das Glück‘ haben Sie damit schon beantwortet. Wie steht es mit ‚Bin ich ein Sonderling ?‘

Das glaube ich nicht, ich bin eigentlich die Normalität schlechthin. Ich bin ein Mensch, der die verschiedensten Verschüttungen erlebt hat in seinem Leben, durch die Schule, durch Äußerlichkeiten, durch weiß der Teufel, was alles auf einen zukommt. Man wird als kindliches, wunderbares Wesen geboren, und dann kommt die Welt – das ist wie die Vertreibung aus dem Paradies, und dieses Sich-Zurückerobern sollte eigentlich die Normalität sein. Ich empfand mich nie als Sonderling.

Fischli und Weiß wollen auch wissen: ‚Warum sind die Sterne so unordentlich verteilt?‘

So unordentlich sind die ja gar nicht! Nach dem Urknall haben sich die verschiedensten Galaxien gebildet. Wir selbst sind ja Teil eines solchen Sonnensystems, von denen es Milliarden gibt, und wir drehen uns um die Sonne, die Teil einer übergeordneten Ordnung ist, und die wiederum Teil einer weiteren. Sicher gibt es Dinge im Weltraum, die aus dem Chaos heraus noch nicht in eine vorübergehende Ordnung geraten sind; aber eine Unordnung schlechthin ist das ja da oben nicht, denn alles, was da irgendwann ins All hinausflog, neigt ja in Form von Galaxien und Spiralnebeln zu einer Ordnung, wie eine Blume auch eine Ordnung hat.

Sie sind wahrlich ein echter Out-Of-Chaos-Spezialist, nicht nur im musikalischen Bereich! Doch hierher kehre ich zurück, indem ich Sie frage, ob Sie nun deshalb live auftreten, weil Sie genau das mit Yello fast nie getan haben?

ej2Dass ich ich nun live auftrete, ist kein Ausdruck davon, dass es mir gefehlt hätte. Das ist vielmehr ein reiner Zufall. Nachdem wir vor fünf Jahren einen virtuellen Konzertfilm gemacht hatten, sollte ich damit in Deutschland auf Tournee gehen und dazu noch ein bisschen über Yello reden. Ich fand, das war ein bisschen wenig geboten für dreißig Euro Eintritt, deshalb haben ich mit zwei Musikern noch drei, vier Songs gemacht und zum Besten gegeben. Daraufhin fragte mich mein Promoter, ob ich nicht ein abendfüllendes Ding machen könnte. Ich bin dann wie jeden Winter nach Argentinien abgehauen, und eines Tages rief er mich an und sagte, er habe ein paar tolle Gigs ausgemacht. Ich sagte ihm er sei verrückt, was das solle? Aber unter diesem sanften Druck habe ich mich dann hingesetzt und auf einer alten Gitarre herumgeklimpert, weil ich diesen Mann nicht enttäuschen wollte. Nach drei Wochen Chaos hatte ich dann endlich einen kleinen Faden in der Hand, und dann war es doch soweit, dass mir diese Lieder zugefallen sind.

Sie wurden also erleuchtet, so wie Sie sich selbst beleuchtet haben in dem Yello-Video „Mean Monday“, als sie auf der Parkbank neben Melanie Oertig in eine Lampe sangen?

Ja, ich habe eine Lampe benutzt, um ein Mikrofon vorzutäuschen. Das hat einen ganz lustigen Effekt, wenn man sich mit einem fingierten Mikrofon selbst beleuchtet.

In diesem Video rollt irgendwann auch ein alter Citroen durch das Bild. Was fahren Sie selbst für einen Wagen?

Ich fahre einen VW-Elektrowagen, den ‚Up‘, den kleinsten. Das ist wunderbar, man gleitet lautlos und ohne eine Ambition ans Fahren durch die Stadt. Das ist ein großartiges Fahrgefühl, und ich kann das nur Jedem empfehlen. Ich habe noch ein anderes Auto und vielleicht noch ein anderes, die da irgendwie rumstehen, alte Familienkutschen, aber eigentlich fahre ich nur noch diesen Elektrowagen.

Wie geht es denn mit Yello weiter? Geht es mit Yello weiter?

Absolut. Yello hat sich immer schon sehr viel Zeit genommen. Yello ist vor allem Boris Blank; der hat eine ganz eigenartige Arbeitsmethode: Er treibt sozusagen sechzig, siebzig, achtzig Klangbilder parallel vor sich her; er ist wie ein Maler, der morgens ins Atelier geht, seine Bilder anschaut und sich von einem unfertigen Bild inspirieren lässt, an dem er dann ein, zwei Tage weiterarbeitet, bevor er es wieder stehen lässt. Blank ist ja kein Komponist im herkömmlichen Sinne, sondern er malt Klänge, die sich dann eigendynamisch zu einem Bild entwickeln. Jeder Pinselstrich bedingt den nächsten, das ist ein wahrhaft dialektisches Vorgehen. Oft denkt er: ‚Wunderbar, da entsteht ja eine Rose‘ und dann steht am Ende zu seiner Überraschung ein Kamel da. Er überrascht sich eigentlich selber, spielend wie ein Kind im Sandhaufen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass gerade Kinder gern in Yello-Musik hineinhören und immer wieder irgendwelche verrückten Dinge dort entdecken. Diese Methode ist natürlich sehr langwierig, aber jetzt sind wir soweit. Blank hat ungefähr sechzig Bilder so weit vorangetrieben, dass ich da jetzt als Gast in seine Klangbilder mit meiner Stimme eintreten darf. Für mich sind die Klangbilder von Boris Blank wie Filmmusik für einen Film, den es nicht gibt, und ich bin dann der Darsteller, der diese Bilder im Kopf hat und sie personifiziert.

Ihr kulturelles Leben scheint ja unerschöpflich zu sein und fast übererfüllt – ist das so, oder gibt es da noch unerfüllte Wünsche?

Es gibt durchaus verborgene Sachen, die in einem drin schlummern, und man wartet darauf, dass dieses Schlummern zu einem Erwachen kommt, dass da irgendein Push kommt, das auch zu machen. Ich weiß nur, dass ich irrsinnig gerne Filme mache. Ob ich das als Schauspieler kann, weiß ich nicht. Ein paar Mal hatte ich das Glück, kleinere Rollen in Filmen zu bekommen; ich habe das unendlich genossen. Einen Film zu drehen ist etwas Wunderschönes, wie mit einem Schiff über den Atlantik zu segeln; man hat sich entschieden, man macht das jetzt, und es regnet und stürmt und man hat schwierige Situationen zu überwinden, aber die Filmerei ist die ultimative Befreiung des endlosen Zweifels, weil man eben auf dem Segelschiff ist und sich dazu entschieden hat. Man muss sich nicht jede Stunde Fragen wie bei der Schreiberei, ‚Soll ich das, darf ich das, ist das gut genug?‘, sondern der Wind bläst, und man segelt. Dieser Wunsch ist schon in mir drin, Filme zu machen, aber wenn das nicht passiert, ist es auch keine Tragödie.

Hier schließt sich dann doch der Kreis zu David Niven – vielen Dank für dieses Gespräch. 

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