Seit gestern sind wir „mittendrin statt nur dabei“

Schon seltsam – Deutschland ist aktiv an den Militäroperationen der Allianz im „Krieg gegen den Terrorismus“ in Syrien beteiligt. Ein Einsatz im Spannungsfeld zwischen Solidarität und Irrsinn.

Ein solcher Tank-Airbus der Luftwaffe fliegt seit gestern über Syrien und sorgt dafür, dass unsere Freunde möglichst lange das Land bombardieren können. Foto: Aero-Icarus from Zürich, Switzerland / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Der „Krieg gegen den Terrorismus“, den George W. Bush 2001 nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York losgetreten hatte, dauert nun schon über 14 Jahre an. Damals ging es gegen „Al-Quaïda“, die Terrorgruppe von Oussama Bin Laden und wie erfolgreich dieser „Krieg gegen den Terrorismus“ war, erkennt man an den reinen Fakten. Seit Beginn dieses Krieges hat die Welt es nicht mehr mit einer Terrorgruppe zu tun, sondern mit vielen Terrorgruppen, die sich gegenseitig an Brutalität und Barbarei überbieten. Seit Beginn des „Kriegs gegen den Terrorismus“ wurden die Regimes in Bagdad und Tripolis gestürzt und der Irak und Libyen sich selbst überlassen, so dass beide Länder ins Chaos stürzten – genau der Nährboden, den Terrorismus zum Wachsen und Gedeihen benötigt. Laut verschiedenen Geheimdiensten ist die Zahl der als „gefährlich“ eingestuften Islamisten seit 2001 in den Ländern des Westens von einigen hundert auf über 100.000 angewachsen. Doch statt zu verstehen, dass diese Taktik nicht gerade zielführend ist, intensiviert der Westen seinen aussichtslosen Kampf. Und – wir sind mittendrin. Seit gestern fliegt die Luftwaffe mit einem Tank-Airbus an der Seite der Bomber und sorgt dafür, dass diese möglichst lange in der Luft bleiben und möglichst viele Bomben über Syrien abwerfen können.

In Frankreich kann man kaum ermessen, wie schwer die deutsche Entscheidung war, aus reiner Solidarität mit unseren wichtigsten Verbündeten in den Krieg zu ziehen. Zum ersten Mal seit Ende des II. Weltkriegs ist die Bundeswehr direkt in eine solche Militäroperation eingebunden – alle früheren Auslandseinsätze der Bundeswehr hatten einen eher „humanitären“ oder Ausbildungs-Charakter. Aber jetzt stehen wir an der Seite der Großmächte und kämpfen also mit. So endet sie dann, diese „längste Phase des Friedens“ im Herzen Europas, auf die wir Jahrzehnte lang so stolz waren. Der deutsche Pazifismus – weggebombt von einer Handvoll fundamentalistischer Attentäter an einem diesigen Novemberabend in Paris.

Dass wir mit unseren französischen Nachbarn solidarisch sein wollen und sind, ist völlig verständlich und nachvollziehbar. Doch muss man ebenfalls sehen, dass weder Frankreich, noch Großbritannien, noch die beiden Supermächte Russland und die USA einen Plan haben, wie man das Phänomen des Terrorismus eindämmen kann. Dass es nicht ausreicht, ein Land und dessen Zivilbevölkerung in Schutt und Asche zu bomben, das hätte man ja in Afghanistan und im Irak durchaus lernen können – beide Länder wurden durch die Einsätze der westlichen Alliierten nicht etwa „demokratisiert“ oder befriedet, sondern in unüberschaubare Bürgerkriege gestürzt, deren Ende nicht absehbar ist.

Immerhin, falls man das so sagen kann, wurden in Libyen und dem Irak mit Muamar Ghaddafi und Saddam Hussein die jeweiligen Diktatoren gestürzt – in Syrien bombardiert der Westen weiter um al-Assad herum, um den Russen nicht in die Suppe zu spucken, die aus irgendeinem Grund einen Narren an dem syrischen Diktator gefressen haben. Was also bedeutet, dass man das auslösende Element der Syrien-Krise weiter gewähren lässt, dass man akzeptiert, dass damit keine politische Lösung dieses Bürgerkriegs möglich ist, aber das hält uns nicht davon ab, weiterhin die Rüstungsindustrie glücklich zu machen, indem wir tonnenweise Bomben über Syrien abwerfen. Bomben, die leider nicht nur Terroristen, sondern überwiegend die Zivilbevölkerung treffen, von der wir uns immer noch wundern, dass diese so zahlreich flüchtet und versucht ihr Leben zu retten.

Solidarität mit Frankreich, ja. Klar. Mit den USA, Großbritannien und Russland? Wirklich? Teilen wir wirklich die Werte der Amerikaner, die seit 2001 sämtliche Bürgerrechte ausgehöhlt und ihr Land der NSA überlassen haben? Teilen wir die Werte der Briten, denen der Begriff „europäische Solidarität“ mittlerweile zum bedeutungslosen Fremdwort geworden ist? Teilen wir die Werte des Russlands von Wladimir Putin, der sich gerade angewöhnt, diejenigen Gebiete zu annektieren, die er gerne seinem Traum vom Zarenreich einverleiben will? Und reicht diese Solidarität wirklich aus, um uns in einen Krieg zu stürzen, den man gar nicht gewinnen kann, da nicht einmal genau klar ist, wo man eigentlich gegen wen kämpft?

Ohne eine internationale Verständigung auf das, was in Syrien, aber auch allen anderen Ländern passieren muss, in denen der IS immer weiter an Einfluss gewinnt, haben diese täglichen Bombardements nur eine einzige Konsequenz – den Hass der Zivilisationen aufeinander für die kommenden Generationen zu zementieren. Die UNO ist jetzt gefragt, alle beteiligten Nationen an einen Tisch zu bringen und eine Resolution zu verabschieden, die eine klare Perspektive für Syrien aufzeigt. Das wäre eigentlich auch angebracht gewesen, bevor wir aus dem löblichen Gefühl der Solidarität mit Frankreich heraus „Hurra!“ brüllend in den Krieg stolpern. Einen Krieg, den niemand ernsthaft gewollt haben kann. Außer der deutschen und französischen Rüstungsindustrie.

1 Kommentar zu Seit gestern sind wir „mittendrin statt nur dabei“

  1. (…)Solidarität mit Frankreich, ja. Klar.(…)

    Gar nicht klar. Spätestens wenn ein Land ein anderes mit dem Verteidigungsargument angreift, obwohl es gar nicht von diesem angegriffen wurde, sondern von einer Terrororganisation, deren Täter vorwiegend aus Belgien und Frankreich (!!) kamen, sollte mit der Solidarität schluss sein.
    Aber offenbar geht es gar nicht in erster Linie um den IS, sondern, wie immer, um Rohstoffe und Geostrategie und aus eben jenem Grund verteidigt Russland auch das syrische Regime und nicht, weil Putin an Assad einen Narren gefressen hat, wie sie schreiben.

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