Selbstbedienungsladen EU

Die Alleingänge der EU-Mitgliedsstaaten häufen sich. Langsam geht es in der EU nur noch um Subventionen und Hilfen für zockende Banken. Droht das Ende der EU?

Viele hatten gehofft, dass Polen mit der Wahl von Donald Tusk "europäischer" würde. Das war ein Irrtum. Foto: European People's Party / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Eigentlich hatten viele Beobachter gedacht, dass Polen nach der Abwahl der nationalkonservativen PiS und dem Wahlerfolg des früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk wieder „europäischer“ werden würde. Doch diese Annahme war ein Fehler – überraschenderweise macht Tusk dort weiter, wo die PiS von den Wählern gestoppt worden war.

Immer mehr europäische Länder setzen sich über europäische Grundregeln hinweg und höhlen somit die EU immer weiter aus. Deutschland, Österreich, die Niederlande und Dänemark haben „Schengen“ ausgesetzt, Frankreich pfeift fröhlich auf die Stabilitäts-Kriterien und nun will Polen das Asylrecht aussetzen. Wie immer, wenn europäische Regierungen europäische Prinzipien unterlaufen, setzen sie das Adjektiv „vorübergehend“ vor ihre Maßnahmen, doch bedeutet „vorübergehend“ im Politikersprech eher „so lange wir wollen“.

Polen, das wie Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei zu den „Visegrad-Staaten“ gehört, die bereits seit Jahren Sonderwege in der EU gehen, sich nicht viel um europäische Regeln und Absprachen kümmern, aber gerne die Brüsseler Subventionen einkassieren, will also jetzt das Asylrecht „vorübergehend“ aussetzen. Dabei ist ihnen der Beifall der übrigen „Visegrad-Staaten“ gewiss. Laut Regierungschef Tusk soll das Asylrecht in Polen für „irregulär“ eingereiste Migranten ausgesetzt werden, was ihm nun die EU-Kommission genehmigen soll. In der Praxis bedeutet dies die völlige Aushöhlung der Asylregeln, denn wie sollten Migranten „regulär“ nach Polen einreisen? Logischerweise betreten Migranten nicht in Polen erstmals europäischen Boden, weswegen laut Dublin-Abkommen diejenigen Staaten für ein Asylverfahren zuständig sind, in denen die Migranten ankommen.

Allerdings hat Polen ein spezifisches Problem, das andere EU-Mitgliedsstaaten nicht haben – die hybride Kriegsführung von Russland und Belarus, denn diese schleusen gezielt Migranten aus Drittstaaten an die Grenze zu Polen, um durch einen massiven Migrantenstrom Polen zu destabilisieren. Abgesehen davon, dass es unglaublich zynisch von den beiden Diktatoren Lukaschenko und Putin ist, das Schicksal aus ihrer Heimat vertriebener Menschen als „Werkzeug“ der Destabilisierung zu nutzen, sieht man jetzt, dass sich die „Visegrad-Staaten“ mit ihrer beharrlichen Verweigerung der Aufnahme von Flüchtlingen selbst ins Knie geschossen haben – denn nun dürften sich die anderen EU-Staaten kaum darum reissen, sich Polen gegenüber solidarisch zu zeigen und Polen dabei zu helfen, diesen Migrantenzustrom zu managen.

Die EU verwandelt sich immer mehr in eine Art Selbstbedienungsladen, in dem jeder für sich entscheidet, was er in den Einkaufswagen packt und was nicht. EU-Vorschriften werden zu „Kann-Regeln“ und da ohnehin niemand mit Konsequenzen rechnen muss, wenn er die Regeln nicht einhält, driftet die EU immer weiter auseinander.

Besonders bedenklich ist, dass immer mehr europäische Errungenschaften ausgesetzt werden, Grundrechte nicht mehr gelten und aus dem „Europa der Bürger“, das einst als Ziel der Union ausgegeben wurde, ist inzwischen das „Europa der Technokraten“ geworden, das im Interesse des großen Kapitals und nicht im Interesse der Menschen agiert.

Politisch verzwergt ist die EU nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doch das hält die EU-Spitzen nicht davon ab, mit einem fröhlichen „Weiter so!“ die europäische Idee weiter an die Wand zu fahren.

Am 9. Juni hatten wir die Möglichkeit, diejenigen abzuwählen, die für den Untergang der EU verantwortlich sind. Doch haben wir es mehrheitlich vorgezogen, gegen Europa und für die Technokraten zu stimmen, die seit Jahren den Nachweis erbringen, dass sie nicht in der Lage sind, die Ideen der europäischen Gründungsväter umzusetzen. Insofern sind wir selber dafür verantwortlich, dass die EU implodiert. Eigentlich schade.

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