Serie (6): Europäisches Geld für die Mafia?

Heute: Nicola Gratteri, ein Held der modernen Zeiten. Der Generalstaatsanwalt von Castanzaro, der Hunderte von Mafiosi angeklagt und verurteilt hat lassen, wird künftig in Neapel amtieren.

Nicola Gratteri, der "Mafia-Jäger", kümmert sich künftig um das organisierte Verbrechen in Neapel. Foto: Niccolò Caranti / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(Kai Littmann) – Solange es Männer wie Nicola Gratteri gibt, gibt es die Hoffnung, dass Italien eines Tages das organisierte Verbrechen besiegen kann. Seit drei Jahrzehnten bekämpft der Generalstaatsanwalt aus Castanzaro in Kalabrien, der künftig in Neapel tätig sein wird, das organisierte Verbrechen in Italien und im Ausland. Über tausend Anklagen gegen Mafiosi, mehrere hundert Verurteilungen, zerstörte Drogenhandelssysteme auf der ganzen Welt – kein Wunder, dass der Mann ständig unter dem Schutz von Leibwächtern steht. Denn Nicola Gratteri, der auch Autor mehrerer Bücher über die Funktionsweise mafiöser Strukturen ist, lebt gefährlich als „Feind Nummer eins“ des organisierten Verbrechens.

Der Mann wäre in Italien unter der Regierung Renzi sogar fast Justizminister geworden. Doch es war der damalige italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano, der sein Veto einlegte und ihm Andrea Orlando vorzog, einen Mann, der den Machthabern in Italien offensichtlich besser passte.

Dies hielt Nicola Gratteri jedoch nicht davon ab, seinen Kampf gegen das organisierte Verbrechen fortzusetzen. „Ich habe einen Eid auf die Verfassung geschworen“, sagte er einmal, „und da alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind, diktiert mir nur das mein Verhalten.“ Viele Politiker, Großunternehmer und Beamte mussten dies am eigenen Leib erleben, denn Nicola Gratteri verteilt keine Geschenke.

Nicolas Gratteri ist zwar nicht der einzige ehrliche Staatsanwalt in Italien, doch er ist zweifellos der medienwirksamste, was er seinen Erfolgen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu verdanken hat. Aus diesem Grund fühlte sich der mächtige Oberste Rat der Magistratur (CSM) verpflichtet, ihn diese Woche zum Generalstaatsanwalt in Neapel zu ernennen, in der Hochburg der Camorra, einer der drei großen Strukturen des organisierten Verbrechens in Italien. Während er in Castanzaro, wo Gratteri zuvor tätig war, in erster Linie die ‘Ndrangheta bekämpfte (deren geschätzter Jahresumsatz mehr als 50 Milliarden Euro beträgt), müssen sich nun die neapolitanische Camorra und ihre Helfer Sorgen machen. Denn Nicola Gratteri tritt diesen Posten in Neapel an der Spitze der größten Staatsanwaltschaft Italiens nicht an, um dort Statist zu sein.

Doch selbst die Ernennung Gratteris in Neapel zeigt den Einfluss des organisierten Verbrechens in den staatlichen Instanzen. Bei der Abstimmung imCSM hatten 19 Mitglieder dieses Rates für Gratteri gestimmt, aber 13 stimmten gegen ihn, und man muss davon ausgehen, dass diese 13 Gegenstimmen sicherlich Gründe hatten, um Gratteri daran hindern zu wollen, nach Neapel zu kommen und dort aufzuräumen.

Natürlich erinnert Staatsanwalt Gratteri auch an Richter Falcone, der 1992 von der Mafia ermordet wurde. Es ist gut zu sehen, dass es in Italien mutige Männer und Frauen gibt, die nicht akzeptieren, dass das Land von kriminellen Organisationen, korrupten Politikern und Richtern und von Unternehmen, die „il sistema“ tragen, regiert wird. Sie sollten in ihrem Kampf gegen diese Hydra unterstützt werden, die alle Ebenen des Staates und der Wirtschaft infiltriert hat, und das nicht nur in Italien.

Es ist zu hoffen, dass es Persönlichkeiten wie Nicola Gratteri gelingt, den Einfluss von „il sistema“ auf den italienischen Staat zurückzudrängen. Und natürlich hoffen wir, dass Richter wie Nicola Gratteri Unternehmen, die von „il sistema“ geschädigt wurden, dabei helfen können, vor italienischen und europäischen Gerichten endlich Gerechtigkeit zu finden!

Wir haben diesen Artikel vorgezogen, da uns die Europäische Kommission um ein paar Tage mehr Zeit gebeten hat, um uns ihre Antworten auf unsere Fragen zukommen zu lassen. Daher werden wir Ihnen im nächsten Artikel in dieser Reihe aufzeigen, was die Europäische Kommission über den ENI – SNAM – Bonatti-Skandal im Zusammenhang mit den Gaspipeline-Projekten in Italien denkt, die teilweise zur Mitfinanzierung des organisierten Verbrechens in Italien dienten.

In dieser Reihe bereits erschienen:

Artikel 0
Artikel 1
Artikel 2 (Sondernummer)
Artikel 3
Artikel 4
Artikel 5

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