Serie (Sondernummer): Wenn die Kriminalität legalisiert wird…

Am 6. September 2023 will das italienische Parlament über ein selbst unter Richtern stark umstrittenes Gesetz abstimmen, das in italienischen Medien als „Selbst-Absolution“ bezeichnet wird.

Vergewaltigt das italienische Parlament am 6. September die Verfassung? Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(Kai Littmann) – Verlässt Italien den Pfad der Rechtsstaatlichkeit? Am 6. September wird das italienische Parlament über einen von „Fratelli Italia“ (Giorgia Melonis Partei), den Zentristen von „Italia Viva/Azione“ und „Forza Italia“ (der Partei des verstorbenen Silvio Berlusconi) eingebrachten Gesetzesvorschlag abstimmen, der faktisch auf eine rückwirkende und zukünftige Amnestie für hochrangige Politiker, Wirtschaftsführer und Richter abzielt, was bedeutet, dass die unzähligen Verfahren, die gegen diese Personen anhängig sind, eingestellt würden. Seit 2005 wäre dies die fünfte (!) Änderung des Gesetzes über Verjährungsfristen, ein trauriger „Rekord“ in Europa, da das ultimative Ziel darin besteht, die Straffreiheit von hochrangigen Personen, die in Kriminalfälle verwickelt sind, zu gewährleisten. Es ist wenig verwunderlich, dass italienische Medien von einer „Selbst-Absolution“ sprechen.

Seit 2005 und dem Cirielli-Gesetz sucht Italien nach der richtigen Formel, um diese „Leute aus der Oberschicht“ und natürlich auch das organisierte Verbrechen vor Strafverfolgung zu schützen. Das Gesetz war 2017 (Orlando-Gesetz), 2019 (Bonafede-Gesetz), 2021 (Cartabia-Gesetz) reformiert worden, und jetzt im Jahr 2023 wird das „Nordio-Gesetz“ erwartet, da alle diese Gesetze nach den Justizministern benannt wurden, die zum Zeitpunkt dieser Reformen im Amt waren. Aber worum handelt es sich eigentlich? Eine Praxis des Justizsystems in Italien besteht darin, dass Verfahren, in die entweder Politiker, die Richter selbst, die Chefs großer Unternehmen und das organisierte Verbrechen verwickelt sind, verschleppt werden. Fälle werden von einem Gericht zum anderen weitergereicht, „gehen verloren“, Richter werden ausgetauscht und durch „gefällige“ Richter ersetzt, und so kommt es, dass diese Verfahren nie abgeschlossen werden und die Verjährung dazu führt, dass irgendwann die Verfahren eingestellt und die Kriminellen nicht bestraft werden und die Opfer keine Gerechtigkeit erfahren können.

Mutig hatte 2019 der Justizminister Alfonso Bonafede diese Verjährung beendet, die von seiner Nachfolgerin Marta Cartabia unter der Regierung Draghi schnell wieder eingeführt wurde. Am 6. September soll nun das italienische Parlament über die Bestätigung dieses Verjährungsgesetzes abstimmen, was faktisch die Straffreiheit der Betroffenen besiegeln würde.

Sollte das Gesetz am 6. September verabschiedet werden, würde das italienische Parlament hochrangige Politiker, Wirtschaftsführer und Richter, die in unzählige, teilweise seit Jahrzehnten laufende Fälle verwickelt sind, entlasten und gleichzeitig das Justizsystem dazu einladen, Fälle, die solche Personen betreffen, weiterhin zu verschleppen, um ihnen auch in Zukunft Straffreiheit zu sichern.

Natürlich ist nicht das gesamte Justizsystem in Italien verdorben und korrupt. Mehrere hundert Richter haben eine Petition unterzeichnet, in der die gewählten Volksvertreter aufgefordert werden, das Gesetz 103/2017 nicht zu bestätigen, sondern der Absicht von Alfonso Bonafede zu folgen, der wollte, dass „Leute aus der Oberschicht“ wie jeder andere italienische Bürger für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden.

In der italienischen Verfassung heißt es, wie in allen Verfassungen demokratischer Länder, „dass jeder vor dem Gesetz gleich ist“. Wenn die Parlamentarier am 6. September das Gesetz 103/2017 tatsächlich bestätigen sollten, würde dieses Grundprinzip nicht mehr für diejenigen gelten, die Verbrechen in Anzug und Krawatte begehen. Auch wenn noch geprüft werden muss, ob dieser Schritt mit den europäischen Gesetzen vereinbar ist, muss man feststellen, dass sich Italien anschickt, den Weg der Rechtsstaatlichkeit zu verlassen. Die Europäische Union muss diese Entwicklung mit höchster Wachsamkeit verfolgen, denn wenn dieses Gesetz bestätigt werden sollte, wird Kriminalität bei allen Projekten, bei denen europäisches Geld im Spiel ist, zur Norm werden. Und Italien würde zu einer Bananenrepublik im Dienste der Kriminaliät und der Mächtigen werden.

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