Sex, Lügen und Videos…

Die im März anstehenden landesweiten Kommunalwahlen werden momentan vor allem durch (vermeintliche) Sex-Skandale geprägt. Ein trauriges Bild...

Benjamin Griveaux wollte sich als "Monsieur Famille" präsentieren - das passte aber nicht gut zum Cybersex mit seiner Mätresse... Foto: ScS EJ

(KL) – Wenn in zwei der acht größten Städte Frankreichs einen Monat vor der Wahl Spitzenkandidaten von ihrer Kandidatur zurücktreten, weil sie in vermeintliche Sex-Skandale verwickelt sind, dann sollte man schon einmal genauer hinschauen. Vor allem, wenn diesen Skandalen keinerlei illegale Handlung zugrunde liegt.

In Straßburg musste Mathieu Cahn, der Spitzenkandidat der sozialistischen PS in einem peinlichen und mehrstufigen Prozess die Liste der PS verlassen; in Paris warf der Spitzenkandidat der Regierungspartei LREM Benjamin Griveaux das Handtuch. Beide Fälle weisen Parallelen auf und sind trotzdem völlig unterschiedlich gelagert.

In Straßburg glaubt inzwischen kaum noch jemand daran, dass Mathieu Cahn wirklich deswegen zurücktreten musste, weil er vor rund 10 Jahren (N)a(c)kt-Photos von Studentinnen gemacht hat. Das fällt nämlich unter das Kapitel „Privatangelegenheit“. Allerdings war dies bereits der zweite Akt der Demontage des Mathieu Cahn – der zuerst angeführt Grund war eine Gerichtsverhandlung am 17. März, also zwischen den beiden Wahlgängen, bei der Cahn höchstens als Zeuge aussagen wird, selbst aber überhaupt nicht angeklagt ist. Diese Terminierung der Verhandlung war seit Monaten bekannt und der Termin hätte sicherlich problemlos verschoben werden können. Aufgrund dieses Termins hatte Mathieu Cahn allerdings angekündigt, den Spitzenplatz der PS an die „grande dame“ der Straßburger Politik Catherine Trautmann abzugeben. Er selbst zog sich auf Platz 2 der Liste zurück. Doch dann kam heraus, dass er vor einem Jahrzehnt als Hobby-Photograph nackte Studentinnen photographiert hatte. Ahem – na und? Niemand wurde zu irgendetwas gezwungen, niemand wurde sexuell ausgebeutet, niemandem wurde Gewalt angetan und wenn sich erwachsene Menschen einvernehmlich erotischen Aktivitäten hingeben, was bitteschön ist so schlimm daran? Egal, Moral-Frankreich kocht. Weg mit dem Mann! Doch es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der Wechsel des Spitzenkandidaten Cahn von langer Hand vorbereitet war, um die überaus beliebte Catherine Trautmann ins Rennen zu katapultieren. Sollte dies stimmen, wäre es brutal für Cahn, aber eine taktische Meisterleistung der PS.

In Paris hat der Spitzenkandidat der LREM auch nichts Verbotenes getan, sondern ein Eigentor geschossen. Anders als im Fall Mathieu Cahn hatte Benjamin Griveaux den Fehler begangen, seinen Wahlkampf erzkonservativ auf den „Werten der Familie“ aufzubauen und es dabei heftig zu übertreiben. Er präsentierte sich als „Monsieur Famille“ und hatte dabei offenbar vergessen, dass, wie ein Video zeigte, seine sexuellen Aktivitäten auch Video-Erotik mit einer Mätresse beinhalteten, was seine Aussagen zu den ewigen Werten der Familie reichlich untergrub. Moralisch sicherlich höchst schäbig, doch ebenfalls ohne irgendwelche strafrechtlich relevanten Elemente. Ein Privatproblem der Familie Griveaux, möchte man meinen, das nach dem Rücktritt Griveauxs alleine zwischen Frau und Herrn Griveaux zu regeln ist.

Dennoch verfällt heute noch halb Frankreich in Schnappatmung, wenn der Name Griveaux (und in geringem Masse, der Name Mathieu Cahn) fällt. Es ist, als ob die Franzosen entdecken, dass Politiker sexuelle Aktivitäten haben und gerne auch mal lügen, um sich ein passendes Image verschaffen. Die moralinsauren Reaktionen sind verstörend, zumal Griveaux und Cahn zurückgetreten sind – man könnte eigentlich auch wieder zu wichtigeren Themen als den sexuellen Hobbys der beiden ehemaligen Kandidaten zurückkehren.

Früher, da waren in Frankreich Sex-Skandale noch handfeste Sex-Skandale. Man denke nur an Dominique Strauss-Kahn, der fast sozialistischer Präsidentschaftskandidat geworden wäre, aber lieber im Rotlicht-Milieu mit seinen Freunden wie „Dodo la Saumure“ Sex-Partys veranstaltete. Auch die letzten Präsidenten entwickelten eine prächtige Libido, die das offene und freizügige Frankreich mit einem kleinen Lächeln zur Kenntnis nahm, ohne dass irgendjemand Konsequenzen gefordert hätte.

François Mitterand richtete seiner unehelichen und verheimlichten Tochter eine hübsche Wohnung auf Staatskosten in der Nähe des Elysee-Palastes ein. Jacques Chirac war dafür bekannt, auf Dienstreisen gerne mit anderen Frauen anzubändeln, Nicolas Sarkozy tauschte zum Amtsantritt seine Gattin gegen die hübsche Sängerin Carla Bruni ein und François Hollande jonglierte rollerfahrend zwischen der Mutter seiner Kinder Ségolène Royal, der hysterischen Journalistin Valérie Trierweiler und der Schauspielerin Julie Gayet. Das alles fand mehr oder weniger öffentlich statt und niemand wäre auf die Idee gekommen, deswegen den Rücktritt der jeweiligen Präsidenten zu fordern.

Aber heute entdeckt Frankreich eine neue Prüderie, die darauf hinweist, dass sich die französische Gesellschaft verändert. Wenn Politiker öffentlich an den Pranger gestellt werden, obwohl sie nichts Verbotenes getan haben, sondern weil ihre Sexualpraktiken nicht dem gängigen Geschmack entsprechen, dann stimmt etwas nicht. Hoffentlich wacht Frankreich bald wieder auf und wird wieder zu dem Land, im dem Liebe und Sex alle Rechte hatten, so lange sie im legalen Rahmen stattfanden. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, käme jemand auf die Idee, alle privaten Computer aller Abgeordneten im Land durch zu checken… Im Land, in dem Begriffe wie „Libertinage“ erfunden wurden, die von der ganzen Welt verwendet werden, ist diese moralische Empörung verstörend. Denn diese neue Prüderie passt so gar nicht zu Frankreich.

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