Sich den Tag malen – Neue Spielzeit der Rheinoper
Zum Auftakt der Saison wird's traditionellerweise modern. Am kommenden Sonntag lädt der Brite George Benjamin im Saal der Rheinoper dazu ein, sich das Unmögliche zu wünschen – sollten wir also auch der Oper trotz klammer Kassen eine gelungene Spielzeit wünschen?
(Michael Magercord) – Zum Beginn der Saison darf man ja noch träumen: Auf der Bühne, wo ein universelles und damit auf seine Weise hochmodernes Märchen eine Geschichte vom Wahrwerden des Unmöglichen erzählt wird, und natürlich auch hinter der Bühne, oder sollte man besser sagen, um sie herum? Denn das zweite Stück, das in dieser Saison in der Rheinoper zur finalen Aufführung ansteht, dreht sich um das Gebäude selbst: Was wird im Zuge der Renovierung aus seinem opulenten Zuschauerraum? Bleibt er so traumhaft wie er war? Oder wird er doch hochmodern umgebaut und damit auf schnöde Art universell?
Immerhin, was sich auf der Bühne in dieser Saison tun wird, steht schon fest. Die Saison ist geplant, wenn natürlich jede Aufführung immer wieder ein Abenteuer für sich ist. So schon am kommenden Sonntag, wenn sich dort ein Wunder vollziehen wird: Ein totes Kind wird wieder zum Leben erweckt, und zwar obwohl diese Welt eigentlich ein gar nicht so wunderbarer Ort ist.
Das Kind war gestorben, die verzweifelte Mutter weigert sich, den Leichnam einäschern zu lassen: „Die kalte Erde, die dürren Blumenstile erwachen wieder zum Leben. Warum nicht auch mein Sohn?“ Eine der Totenfrauen erwiderte: „Finde einen glücklichen Menschen auf dieser Welt! Dann wird dein Kind wieder lebendig!“ Eine wahrlich schwere Aufgabe.
Die Mutter wird auf ihrer Suche auf viele potentiell Glückliche treffen, aber weder das Liebespaar, noch der Rentner oder auch der Kunstsammler sind wirklich selig, und beinahe wäre es nichts geworden, doch dann aber… Ja, es ist eben ein Märchen, ein universelles zumal. Auf dem ganzen Globus sind glückliche Menschen rar, aber in den Märchen dieser Welt findet sich immer einer, egal ob sich ihre Geschichten aus Quellen aus dem Buddhismus oder dem Zauber von Alice im Wunderland speisen.
So wie ab Sonntag in Straßburg, wenn die neue Kammeroper „Picture a day like this“ des britischen Komponisten George Benjamin und des Dramatikers Martin Crimp viermal zur Aufführung anstehen wird. Modern, aber immer doch auch im besten Sinne musikalisch, wurde die Uraufführung letztes Jahr in Aix-en-Provence zudem für ihre Poesie und zugespitzte Inszenierung hochgelobt, sitzen doch die glücklich scheinenden Unglücklichen in ihren Glashäusern, also in scheinbar offenen, aber eben doch abgeschotteten Welten – ganz, als wär’s ein Stück aus unser schönen neuen und nicht besonders glücklichen Smartphonewelt von heute.
Möge also wenigstens der Opernkunst nicht dasselbe Schicksal ereilen, nämlich zu einer abgeschotteten Welt im Glashaus zu werden. Dazu muss sie sich in Zeiten immer klammerer Kassen und sinkender öffentlicher Förderung allerdings einiges einfallen lassen. Bisher reagiert man in Straßburg und anderswo mit Kürzungen in der Ausstattung und auch in der Zahl der Aufführungen, stellt doch paradoxerweise jede zusätzliche Darbietung selbst bei ausverkauftem Haus einen geldwerten Verlust dar.
In der kommenden Saison wird es in der Rheinoper noch fünf weitere vollumfängliche Opern geben, deren Komponisten heißen Händel, Jacques Offenbach, Verdi, Franz Lehar und dazu ein Broadway-Musical zum Abschluss der Spielzeit. Ein Programm ohne die ganz große Überraschung, aber nicht ohne Wagnis, wird doch etwa vom Operettenkönig Lehar ausgerechnet sein letztes und anspruchsvollstes Werk gezeigt. Bereits zwei komplette Opern werden ausschließlich konzertant dargeboten, was natürlich zu einer Gradwanderung wird: Ist Oper ohne Inszenierung noch das Gesamtkunstwerk Oper?
Und auch auf der Einnahmenseite musste ebenfalls agiert werden, somit sind die Eintrittspreise, wie man heute sagt, angepasst worden. Allerdings nur in den gehobenen Kategorien, nicht aber auf den billigen Plätzen. Wobei billig ein relativer Begriff ist, der aber in Straßburg im Vergleich zu vielen anderen Opernhäusern tatsächlich zutrifft. Für 12 bis 19 Euro kann man hoch oben von der vierten Galerie auf das gesamte Spektakel bis tief hinab in den Orchestergraben blicken.
Weitreichender für die Zukunft der Rheinoper wird wohl die Entscheidung über die Gestaltung des Zuschauerraums des Operngebäudes sein: behutsame Renovierung, Entkernung und komplette Neugestaltung oder irgendwas dazwischen. Im Juni sollten eigentlich drei konkrete Varianten präsentiert werden, aber bisher ist noch nichts davon öffentlich geworden. Sicher ist, dass zwei Spielzeiten noch im alten Gebäude stattfinden werden, bevor der Umzug in den wesentlich kleineren Saal des „Palais des Fêtes“ erfolgen wird. Drei Zwischenjahre sind vorgesehen, aber wer die Planungszeiten von Großprojekten mit den realen Bauzeiten vergleicht: Müsste der nicht schon von Wundern träumen, um zu glauben, dass es dabei bleibt?
Wie immer es kommen mag, die Straßburger Oper wird treue Freunde brauchen, um auch diese Zeit zu überstehen. Weil sich wohl nicht mehr so viele auswärtige Besucher auf den Weg ins Elsass machen werden, um arg abgespeckte Operngerüste zu bewundern, wird man seine Freunde eher vor Ort finden müssen. Das wird schon schwer genug werden, schaut man auf die Entwicklung der kulturellen Einrichtungen der Stadt – aber davon später an dieser Stelle mehr: Jetzt erst einmal ab in die Oper und von Wundern träumen…
Picture a day like this
Oper in einem Akt von George Benjamin aus dem Jahr 2023
Dirigent: Alphonse Cemin
Regie: Daniel Jeanneteau und Marie-Christine Soma
Musik: Philharmonie Straßburg OPS
Opéra Straßburg
SO 15. September, 15 Uhr
DI 17. September, 20 Uhr
MI 18. September, 20 Uhr
FR 20. September, 20 Uhr
Rezital – Jakub Jozef Orlinski, Kontertenor
Lieder vom Barock bis ins 20. Jahrhundert: Purcell, Schubert
DO 19. September, 20 Uhr
Tickets und Information gibt es HIER!
Tag des offenen Denkmals am SO 22. September
Einen Blick in den alten Saal, aber auch in die Hinterbühne erlaubt die Rheinoper in Straßburg am Place Broglie am Tag des offenen Denkmals von 10 bis 19 Uhr. Eintritt ist frei, Anmeldung ist nicht erforderlich.
Das umfangreiche Begleitprogramm findet sich HIER!
So werden etwa die beiden Direktoren der OnR von Oper und Ballett um 15:30 Uhr die kommende Spielzeit präsentieren.
Und um 11 Uhr schon die lädt das Opernstudio, die Ausbildungseinheit der OnR, zur Lyrischen Stunde ein, die dieses Mal eine blaue Stunde sein wird, die Sänger und Musiker frei gestalten können. Im „La Sinne“ in Mülhausen übrigens schon einen Tag zuvor, SA 21.September um 18 Uhr.
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