Sirenenlieder oder Ohrensausen? OPS gibt Antwort!

Am Mittwoch wird im Konzertsaal der Straßburger Philharmonie hörbar geschweigen: Das von Franz Kafka inspirierte „Lied der Sirenen“ von Peter Eötvös erlebt seine französische Uraufführung – und als Hörer entdecken wir den Odysseus in uns.

Wenn eines sicher ist - so hat es sich garantiert nicht abgespielt... Foto: Sirenenzeugnis aus der Einbildungskraft des Malers Carl von Blaas "Odysseus und die Sirenen" (1882) / PD

(Michael Magercord) – Eigentlich sollten die Sirenen, wie einst dem Odysseus, unwiderstehlich in unser Ohr dringen, auf dass wir den mystischen Wesen in Mädchengestalt im wahrsten Sinne des Wortes hörig werden, und im schlimmsten Falle ihnen gar zum Opfer fallen. So erzählte es zumindest die aus uralten Zeiten überlieferte Geschichte vom unerschrockenen Seefahrer und seiner Konfrontation mit dem verführerischen Singsang. Aber wie immer bei Legenden war natürlich alles ganz anders. Franz Kafka hatte in seiner Version dieser akustischen Begegnung eine andere Wahrheit offenbart – und wir täten gut daran, sie für richtig zu halten, wenn wir nicht wie eingebildete Trottel vor der Geschichte stehen wollen.

Kafka hat es enthüllt: In Wahrheit singen die Sirenen nämlich gar nicht erst. Sie schweigen. Und alle, die behaupten sie zu hören, sind auf ihre eigene Einbildungskraft hereingefallen. Der erste dieser eingebildeten Helden war Odysseus. Sicher, er hatte steif und fest behauptet, die Sirenen tatsächlich gehört zu haben. Aber wer will es bezeugen? Seiner Schiffsmannschaft waren die Ohren mit Wachs verstopft, als angeblich die Sirenen sangen. Und er selbst war an den Bootsmasten gefesselt, so dass er ihrem betörenden Sang nicht folgeleisten konnte. Und mit solch einfachen Mitteln soll er er die Macht der Sirenen ausgeschaltet haben?

Lächerlich, sagt Kafka, in Wahrheit war da nämlich nichts als Schweigen. Ohrensausen muss es dann wohl gewesen sein, was Odysseus befallen hatte, was ihm heutzutage jeder HNO-Doktor diagnostizieren könnte. Aber das hätte wohl auch nichts geändert, denn Odysseus würde auch heute noch lieber ein eingebildeter Held sein. Dabei wollen echte Sirenen solche Typen, die meinen, sie könnten der wahren Welt quasi im Vorbeischippern ihrer Geheimnisse berauben und daraus dann lächerliche Legenden schmieden, gar nicht erst bezirzen. Für Sirenen ist es nämlich ebenso wie für einen tiefblickenden Schriftsteller klar: es lohnt sich nicht, eingebildeten Alleswissern und Tatmenschen die wahren Sinneskräfte des Lebens vorzuführen. Sollen sie doch eitel ihres Irrweges ziehen und nie erfahren, wie es wirklich auf dieser Welt zugeht.

Doch vielleicht gelten ja den Sirenen nicht alle Menschen als verloren. Vielleicht singen sie ja doch ihr betörendes Lied für jene, die von vornherein wissen, dass es letztlich ihre Einbildung ist, die sie den Singsang hören macht. Und natürlich sollten sie sich gewahr sein, dass es sehr gefährlich werden kann, wenn sich ihnen das Geheimnis ihres Klanges enthüllt. Davon erzählen uns alle Mythen, die sich aus der alten Sage des Homers abgeleitet haben. In einer jeweils zeitgemäßen Gestalt kommen die guten alten Sirenen daher: Feen, Nixen oder Huren, und für die guten Christen im Mittelalter war es gar das weibliche Geschlecht als solches, das mit ihren Sirenengesängen ohnehin nur den aufrechten Gläubigen zur Sünde verführen will.

Diesen Gefahren setzen wir uns natürlich trotzdem gerne aus, wenn am Mittwoch im Straßburger Konzertsaal die französische Uraufführung des Sirenenliedes aus der Feder des gestandenen Komponisten Peter Eötvös erklingt. Schon 2016 hat er sich getraut, in drei Streichquartetten das Schweigen der Sirenen zu brechen. Nun ist ein Orchesterstück als Auftragswerk unter anderen von den Straßburger Philharmonikern entstanden, für das sich der ungarische Komponist ausdrücklich von Kafkas Version inspirieren ließ.

Peter Eötvös ist ein Mann vom Fach, denn er selbst wurde lange von einem sirenenhaften Ohrensausen heimgesucht – und zwar als er sich in seinen jungen Jahren in Köln der elektronischen Musik verschrieben hatte. „Damals hatten wir uns eingebildet, die Zukunft gehöre der elektronischen Musik, aber wir haben uns getäuscht”, blickt Peter Eötvös zurück und weiß nun: „Der Mensch braucht ein Instrument zwischen seinen Händen”. Vor einiger Zeit schon hatte er sich von der Betörung durch die sphärischen Rückkopplungen befreit und so darf auch das „Lied der Sirenen“ auf den guten alten Musikinstrumenten widerhallen.

Wie es enden kann, wenn man den Akt der Befreiung von den Sirenen nicht vollzieht, zeigt sich im letzten Stück dieses Konzertabends in der Suite vom „Wunderbaren Mandarin“ von Béla Bartók. Ein ehrbarer Mann wird, verführt von einem leichten Mädchen, durch böse Jungs ausgeraubt und schließlich durch eine Umarmung des Mädchens sterben. Der richtige Stoff für eine Tanzpantomime, und tatsächlich wurde das Werk auch 1926 als Ballett zum ersten Mal in Köln öffentlich aufgeführt. Aber ach, die Darbietung: „unmoralisch gefühlskalt“ hieß es, und die Musik: „rücksichtslos modern“. Betörend empörend, und zwar so sehr, dass der damalige Kölner Oberbürgermeister namens Konrad Adenauer jede weitere Vorstellung untersagte. Bartók arbeitete das Werk zu der Orchestersuite um, die wir mit unseren Ohren nun heutzutage ohne in allzu große Wallungen zu geraten, sausenfrei genießen können.

Zwischen den beiden sirenenhaften Werken erklingen am Mittwoch noch zwei Klavierkonzerte von Sergej Prokofiev, nämlich sein erstes und sein letztes. Ein reifes Frühwerk und ein reifes Werk von dem betörenden Pianisten und originellen Tonsetzer. Dessen Sirene war allerdings keine Fee, Nixe oder Hure, sondern der Diktator Stalin, der ihn einst aus dem amerikanischen Exil zurück in die Sowjetunion lockte, nur, um ihm dann künstlerische Fesseln anzulegen. Genutzt hatte es nichts, denn die Musik des unverbesserlichen Optimisten schwebte immer ein gutes Stück über der Höhe ihrer Zeit. Der Schatten, den Stalin warf, verfolgte Prokofiev allerdings bis ans Ende seines Lebens, denn – als gehörten die Sirenen und Odysseus untrennbar zusammen – Stalin und der Komponist starben am selben Tag.

Und jetzt, wo die neuzeitlichen Sirenen in Europa wieder heulen, muss man sich vergewissern, dass nicht jeder Alarm, die sie ausrufen, auf Einbildung beruht, allerdings beruhen oft die Ursachen, aus denen heraus es zu jenen Situationen kommt, in denen Sirenen ihr Schweigen brechen müssen, auf völlig absurden Annahmen und Wahrnehmungen. Absurder noch, als jene des Odysseus in der Erzählung von Franz Kafka. Schärfen wir also besser wieder unser Früherkennungsvermögen für die Sirenen, die uns vor den unverbesserlichen Alleswissern und Tatmenschen warnen wollen – und sei es im Konzertsaal.

Konzert der Straßburger Philharmonie OPS

Peter Eötvös – Sirens’ Song
Sergej Prokofiev – Klavierkonzerte Nr. 1 und Nr. 5
Béla Bartók – Orchestersuite „Der wunderbare Mandarin“

Dirigent: Marko Letonja
Klavier: Jean-Efflam Bavouzet

MI, 9. März, 20 Uhr
Palais de la Musique et des Congrès, Straßburg

Informationen und Tickets unter: www.philharmonique.strasbourg.eu

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste