So funktioniert die britische Demokratie (nicht)

Boris Johnson hat die 21 Tory-Abgeordneten, die am späten Donnerstagabend gegen ihn gestimmt haben, aus der Fraktion und damit faktisch auch aus der Partei geworfen. Es wird täglich schlimmer.

Winston Churchill wäre stolz - sein Enkel Sir Nicholas Soames gehört zu den "21", die Boris Johnsons Angriff auf die Demokratie abwehren. Foto: Chris McAndrew / Wikimedia Commons / CC-BY 3.0

(KL) – Man sollte vielleicht noch einmal daran erinnern, dass Boris Johnson nicht etwa von den britischen Wählerinnen und Wählern ins Unterhaus gewählt wurde, sondern dass er freihändig durch eine Mitgliederbefragung bei den Tories von rund 93.000 älteren Damen und Herren zum Nachfolger von Theresa May bestimmt wurde – ansonsten würde der Mann gar nicht im britischen Parlament sitzen und sich dort wie ein Schulhofrüpel benehmen. Nun hat er 21 seiner gewählten Kollegen gefeuert, da diese den Mut hatten, seinen wahnwitzigen Schlingerkurs in Richtung „hard Brexit“ zu verweigern. Und das dürfte dann auch schon der Anfang vom Ende der politischen Karriere von Boris Johnson sein.

In der Abstimmung ging es am späten Dienstagabend um eine technisch anmutende, aber vieles entscheidende Frage, nämlich ob das Parlament selbst die Tagesordnung für die so wichtigen Sitzungstage in dieser Woche bestimmen kann. Das wollte Boris Johnson verhindern, denn dann wäre vor der von ihm verhängten Zwangspause des Parlaments vom 9. September bis zum 12. Oktober im Unterhaus gar nicht mehr über den Brexit gesprochen worden. Doch an dieser Stelle hat sich Boris Johnson verpokert, da er sich zu sicher war, dass seine Parteifreunde, ebenso wie er, ihren persönlichen Status als Abgeordnete über das Wohlergehen Großbritanniens stellen würden.

Diese 21 „Tory-Abtrünnigen“ verdienen es, namentlich genannt zu werden, denn es könnte sein, dass sie irgendwann einmal als die „Retter der britischen Demokratie“ in die Geschichte Großbritanniens eingehen: Guto Bebb, Richard Benyon, Steve Brine, Alistair Burt, Greg Clark, Ken Clarke, David Gauke, Justine Greening, Dominic Grieve, Sam Gyimah, Philip Hammond, Stephen Hammond, Richard Harrington, Margot James, Oliver Letwin, Anne Milton, Caroline Noakes, Antoinette Sandbach, Nicholas Soames, Rory Stewart, Ed Vaizey. Unter den „Abtrünnigen“ (diese 21 verdienen eigentlich eine positivere Bezeichnung als „Abtrünnige“…) befinden sich politische Schwergewichte wie die früheren Minister Philip Hammond, Greg Clark und Rory Stewart, die noch unter Theresa Mey ihre Ämter bekleideten, oder auch der Enkel von Winston Churchill, Nicholas Soames.

Dies ist ein weiteres Beispiel für den Mangel an Respekt vor der britischen Demokratie, die offenbar etwas ist, das Boris Johnson lediglich in seiner Amtsführung behindert. Die Entlassung dieser 21 zeigt, dass das „House of Commons“ für Boris Johnson lediglich eine Debattierveranstaltung ist, bei der es keine Rolle spielt, was die dort vertretenen Mitglieder des Hauses denken und sagen. Dass die britischen Abgeordneten das britische Volk repräsentieren, und zwar mit einer ganz anderen Legitimierung als Boris Johnson selbst, ist ihm egal. Und damit „bestraft“ Johnson eben nicht nur 21 Abgeordnete, sondern auch die britische Wählerschaft, die sich noch nicht ein einziges Mal für diesen Premierminister ausgesprochen hat.

Dieser erneute Anschlag auf die Demokratie als Konzept dürfte Boris Johnsons Karten für eventuelle Neuwahlen nicht unbedingt verbessern. Denn auch durch sein Bully-Verhalten direkt nach Verkündung des Abstimmungsergebnisses, als er aggressiv all denen drohte, die nicht für ihn gestimmt hatten, zeigte er den Briten erneut sein wahres Gesicht. Im Grunde ist es gar nicht schlecht, wenn er diese Woche so weitermacht – und sich somit sein eigenes politisches Grab schaufelt.

Dennoch muss man die Frage stellen, wie es eigentlich sein kann, dass eine solche politische Situation in Großbritannien entstanden ist. Seit mehr als drei Jahren plappern die Briten (sowohl Tories als auch das Spitzenpersonal von Labour) über ein politisches „Projekt“, das lediglich auf einer rechtlich nicht bindenden Umfrage beruhte, die in einem Klima der Lüge, der Fake News und der Manipulation organsiert worden war. Drei Jahre lang hatten sowohl die britische Bevölkerung als auch die britische Politik Zeit, diesen offensichtlichen Ausrutscher zu begradigen. Dass man es auf der Insel erst jetzt, nach dreimaligen Verschieben des eigentlich auf den 31. März terminierten Brexit merkt, dass da wirklich etwas eher Unangenehmes auf die zukommt, ist einfach nicht nachvollziehbar.

Aber Hut ab! vor diesen 21, die ihren politischen Job geopfert haben, um die Demokratie in ihrem Land zu retten!

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