So seltsam es klingen mag – aber wir sind nicht im Krieg
Obwohl sich Frankreich, die USA, Russland und Großbritannien daran machen, den Krieg in Syrien auszuweiten, sind wir in Europa nicht im Krieg.
(KL) – Viele erinnern sich an die Bilder aus den USA nach den Anschlägen vom 11 September 2001 auf das World Trade Center in New York. „America under attack“, stand in dem kleinen Einblender in der oberen Bildschirmecke und das in allen TV-Sendungen. Solange, bis auch der letzte Amerikaner überzeugt war, dass sich die USA im akuten Kriegszustand befänden. Dann kamen die Maßnahmen von George W. Bush, der damit nicht nur den Durst nach Rache seiner Bevölkerung befriedigte, sondern auch seine zu diesem Zeitpunkt schon fast beendete politische Karriere mit neuem Leben behauchte – und prompt wurde er für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Doch diese Maßnahmen, mit denen die USA ihren „Krieg gegen den Terror“ dann führten, konnten nicht nur den Terror nicht eindämmen, sondern wurden auch zu Elementen, mit denen die Eskalation der Gewalt nur weiter hoch geschraubt wurde. Und heute machen wir genau das gleiche wieder.
„Wir sind im Krieg“, das sind die markigen Worte von Politikern, die heute versuchen, ihre Karrieren zu retten, von Menschen, denen keine anderen Lösungen einfallen, um die aktuellen Krisen auch nur im Ansatz einzudämmen. Natürlich versteht man, dass ein Land wie Frankreich, das diese fürchterlichen Attentate erlitten hat, sich angegriffen fühlt und darauf reagieren will und muss. Doch muss man auf der anderen Seite auch feststellen, dass Amerikaner, Russen und Franzosen bereits seit dem Sommer 2014 Stellungen des IS in Syrien und im Irak bombardieren, was weder den IS ausgelöscht, noch den Terrorismus beendet hat, wie wir gerade in Paris gesehen haben. Was darauf hinweisen würde, dass die westliche Kriegsführung in Syrien ungefähr so “erfolgreich” ist wie bereits in Afghanistan, dem Irak oder in Vietnam.
Die Aussage, dass wir „im Krieg mit dem IS“ seien, ist gefährlich. Denn sie impliziert, dass wir anerkennen, dass der IS tatsächlich ein Staat ist, aber das ist er nicht. Es handelt sich um eine verbrecherische Terroristenbande, die sich einerseits aus fanatisierten Extremisten und andererseits aus perspektivlosen, gelangweilten Ex-Kiffern aus den Vorstädten im Westen rekrutiert – das soll ein „Staat“ sein?
Dass wir gegen diese Verbrecherbande vorgehen müssen, steht außer Frage. Aber das sollte nur auch kein Grund für unsere Politik sein, die Menschen in eine Art Daueralarmierung zu versetzen und damit auch den Hass in unseren Ländern auf Flüchtlinge und generell Ausländer zu schüren. Vielmehr sollte man genau jetzt damit ein Grund sein, jetzt schonungslos die Gründe für das Phänomen „Terrorismus“ und das Phänomen „Radikalisierung“ zu analysieren und sofort Maßnahmen einzuleiten, mit denen diese Phänomene nachhaltig gemindert werden können, bis sie verschwinden. Das allerdings, und das wissen wir seit 9/11, erreicht man nicht dadurch, dass man wahllos zivile und militärische Ziele in den Ländern bombardiert, die man als „Schurkenstaaten“ zu identifizieren glaubt und auch nicht dadurch, dass man den Geheimdiensten uneingeschränkte Mittel und Macht zur Verfügung stellt.
So sehr im Moment auch alle François Hollande für dessen „entschlossenes und umsichtiges Handeln“ bewundern – er macht die gleichen Fehler wie damals George W. Bush. Und die Chancen, dass er damit mehr Erfolg haben wird als sein US-Kollege, stehen leider erschreckend niedrig.
Sie finden eine französische Fassung dieses Artikels auf der “Edition Eurojournalist(e)” in der Rubrik “Club” auf www.mediapart.fr.
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