Solidarisches Europa

Laut EU-Kommission rechnet man mit 7 Millionen ukrainischer Flüchtlinge in der EU. Die spontane Bereitschaft zur Aufnahme könnte ein Wendepunkt in der Geschichte der EU sein.

Solidarität allerorten - vielleicht wird Europa nun notgedrungen wirklich Europa. Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Europa unter Schock, Europa rückt zusammen, Europa ist solidarisch. 7 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine erwartet die EU-Kommission, in den ersten Tagen des Ukraine-Kriegs sind bereits rund 400.000 Menschen in Richtung Westen geflüchtet, wo fieberhaft ihre Aufnahme vorbereitet wird. In diesen Tagen, in denen man so schmerzlich merkt, wie weit wir vom politischen Europa, vom Europa der Energie und von einer europäischen Verteidigung entfernt sind, könnte das solidarische, ja, das humanistische Europa eine Zeitenwende bedeuten. Die so oft beschworenen „europäischen Werte“ müssen heute funktionieren, damit Europa nicht an den multiplen Krisen zerbricht. In dunkler Stunde gibt es Anlass zu Hoffnung – die Europäer suchen notgedrungen den Schulterschluss.

Seit 2015 hat Europa Erfahrungen bei der Aufnahme von großen Flüchtlings-Wellen, wobei man sich hüten sollte, nun „Flüchtlinge“ und „Migranten“ zu unterscheiden und Wertigkeiten einzuziehen, wo es um menschliche Schicksale geht. Ein Mensch aus Afrika, der vor einem korrupten, mörderischen Regime und den Hunger flüchtet, ist ebenso ein Flüchtling wie ein Ukrainer, der vor den Bomben der Roten Armee flieht. Heute geht es darum, die Erfahrungen von 2015 zu nutzen, Strukturen zu reaktivieren und auszubauen und dafür zu sorgen, dass Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes uneingeschränkt Anwendung findet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Niemand, außer Wladimir Putin, kann heute sagen, was für verheerende Folgen dieser von Russland angezettelte Krieg haben wird. Doch wird sich Europa neu aufstellen, neue Prioritäten setzen und neue Mechanismen finden müssen, mit denen Europa als das funktioniert, als das es in einer von Atomwaffen strotzenden und von riesigen wirtschaftlichen Interessen geprägten Welt funktionieren muss – als starke Einheit.

Auf der Grundlage der europäischen Solidarität, mit der wir künftig nicht nur Platz und Ressourcen teilen werden, sondern auch durch engste Kooperation dafür sorgen müssen, dass alle europäischen Partner versorgt sind und überlebensfähig bleiben, kann und muss endlich ein politisch handlungsfähiges Europa entstehen, das demokratisch nach dem Mehrheitsprinzip in allen Situationen agieren kann. Ein solches, handlungsfähiges politisches Europa führt dann dazu, was man künftig als Kontinent braucht, um nicht unterzugehen: ein Europa der Energie, in dem der Bedarf für alle 27 mit allen verfügbaren Mitteln gemeinsam organisiert, gemanagt und finanziert wird; eine europäische Verteidigung, mit gemeinsamem Budget und Kommando; ein Europa der Landwirtschaft, das die Versorgung der 27 sicherstellt; ein soziales Europa, das dafür sorgt, dass keines der 27 Mitgliedsländer unter die Räder kommt. Eine Utopie? Eine Notwendigkeit.

Die kommenden Zeiten werden schwierig werden und es ist, wie es zu Beginn eines jeden der großen Kriege war – niemand versteht so richtig, wie es so weit kommen konnte und wie ein Krebsgeschwür breitet sich der Krieg aus, wird zum Flächenbrand und gerät außer Kontrolle. Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als vieles zu verändern, vieles zu hinterfragen, was für uns Jahrzehnte lang selbstverständlich war. Vielleicht erreicht Wladimir Putin am Ende genau das Gegenteil dessen, was er erreichen wollte, vielleicht zwingt er uns Europäer heute dazu, wirklich als Europäer zu empfinden, zu denken und zu handeln. Wäre das die Antwort auf den Hass, den Krieg, den Tod, den der Zar in Moskau sät, dann kämen doch wieder bessere Tage. Es ist an uns allen, entsprechend zu handeln.

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