Spaniens politische Justiz

Die Urteile im Prozess gegen die katalanischen Separatisten fällen die Richter in Madrid drakonische Urteile. Statt den Konflikt zu befrieden, gießt Madrid Öl ins Feuer.

In der Person von Oriol Junqueras hat sich Madrid einen katalanischen Märtyrer erschaffen. Foto: Amadalvarez / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Man kann zur Frage des katalanischen Separatismus stehen, wie man will. Und selbst, wenn man dieser politischen Forderung nach Unabhängigkeit eher kritisch gegenüber steht, so muss man festhalten, dass der Umgang der spanischen Behörden mit den Katalanen eher an die Franco-Zeiten als an das Jahr 2019 erinnert. Die Justiz in Madrid hat gezeigt, dass sie keineswegs unabhängig ist, sondern Befehlsempfänger der Zentralverwaltung und wie mit den Führern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung umgegangen wird, ist schlicht und ergreifend ein Skandal. Die politische Debatte dadurch zu beenden, dass man die Gegenseite zu unglaublich hohen Haftstrafen verurteilt, das kennt man eher aus totalitären Staaten – Spanien hat nun eine Situation geschaffen, in der die Auseinandersetzungen zwischen Madrid und Barcelona nicht nur auf Jahre hinaus weiter gären werden, sondern vermutlich auch eine neue Qualität erhalten werden.

9 der Angeklagten in diesem politischen Prozess, dessen Verlauf und Format übrigens von einer Beobachtergruppe des Europäischen Parlaments heftig als „nicht rechtsstaatlich“ kritisiert wurde, sind zu Haftstrafen verurteilt worden, für die man normalerweise jemanden töten oder tonnenweise Kokain geschmuggelt haben muss. Aber das haben die Angeklagten nicht – sie haben zusammen ein als „verfassungsfeindlich“ eingestuftes Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens organisiert, keinerlei Gewalttaten verübt, niemanden verletzt und nicht gestohlen. Selbst der Vorwurf der „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ bezieht sich nicht etwa darauf, dass die Angeklagten Geld in die Tasche gesteckt hätten, sondern darauf, dass mit diesem Geld das Referendum finanziert wurde.

Mit juristischen Spitzfindigkeiten wurden die Angeklagten nicht wegen „Rebellion“, sondern wegen „Aufruhr“ verurteilt. Neun der zwölf Angeklagten müssen ins Gefängnis, für bis zu 13 (!) Jahre. Drei Angeklagte wurden „nur“ wegen „Ungehorsam“ verurteilt – diese drei verlieren aber für 20 Monate das passive Wahlrecht. Die übrigen neun gehen alle ins Gefängnis, darunter auch Oriol Junqueras, der eigentlich heute als Abgeordneter neben Carles Puigdemont im Europäischen Parlament sitzen müsste. Der eine sitzt nun (seit zwei Jahren) im Gefängnis, der andere ist im belgischen Exil. Doch dadurch, dass sich Madrid nun Märtyrer für die katalanische Sache geschaffen hat, wird die Auseinandersetzung umso härter werden.

Unwillkürlich denkt man an die Jahre, als die Terroristen der ETA für die baskische Unabhängigkeit bombten – und auf so eine Situation steuert Madrid nun unaufhaltsam hin. Nach der Urteilsverkündung rief der Nachfolger von Carles Puigdemont, Quim Torra, zu einer „massiven Mobilisierung“ auf, während die spanischen Sicherheitskräfte an Flughafen, Bahnhöfen und anderen neuralgischen Punkten massiv verstärkt wurde. Doch was soll das anderes bei den Katalanen hervorrufen als das Gefühl, von einer feindlichen Macht besetzt zu sein?

In der Tat, die spanische Verfassung sieht die Unteilbarkeit des spanischen Hoheitsgebiets vor. Doch die Durchführung eines Referendums über eine Unabhängigkeit Kataloniens ist kein Hochverrat, sondern ein politisches Postulat, das auf politischer Ebene geklärt werden muss. Die Verurteilung der neun Separatisten zu Strafen, die ansonsten für Mörder und Terroristen reserviert sind, wird den Konflikt auf eine ganz neue Eskalationsstufe bringen. Doch diese nächste Eskalationsstufe wird man nur schwer den Katalanen anhängen können – die Verantwortung liegt in Madrid, wo man den Fehler gemacht hat, ein Armdrücken mit den Separatisten zu suchen, statt gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Solange Spanien auch nur einen politischen Gefangenen aus Katalonien hinter Gittern hält, wird das Land nicht zur Ruhe kommen. Die Auseinandersetzungen werden ähnlich brutal werden wie einstmals zwischen den Basken und dem zentralistischen Spanien. Und wer weiß, ob sich die militanten Kräfte des Baskenlands nicht dem zu erwartenden Kampf der katalanischen Separatisten anschließen werden – Spanien bewegt sich auf sehr unruhige Zeiten zu. Diese hat sie aber in letzter Konsequenz dem eigenen Mangel an Flexibilität und politischer Klarsicht zu verdanken – das skandalöse Urteil gegen die „Neun“ ist der nächste Schritt zur Verschärfung der Auseinandersetzung. Der letzte Ausweg, um bürgerkriegsähnliche Zustände zu vermeiden, ist ein Berufungsprozess, in dem die Haftstrafen aufgehoben werden. Alles andere wird früher oder später zu Blutvergießen führen.

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