SPD-Parteitag: Was ist noch links?

Was ist links? Bloß sozial? Oder doch mehr? Und wie kann es sich etwas Linkes noch behaupten, wenn schon alle Rechten Einen auf sozial machen? Zum Anlass des SPD-Parteitages ein Vorschlag zur Erneuerung vom Eurojournalist.

Michael Magercord und Gregor Gysi stellen die Frage - was ist eigentlich "links"? Foto: Ferran Cornellà / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Gregor Gysi, der einstige Leitstern der deutschen Linken, bat vor Monatsfrist in Straßburg, nicht weiterzuerzählen, was er den wenigen Journalisten kundtat – zumindest nicht der AfD. Die einstmals von neoliberalen Wirtschaftsprofessoren gegründete rechtspopulistische Partei hätte nämlich glücklicherweise die Schlagkraft von sozialen Programmen noch nicht für sich entdeckt.

Doch da der einstige Lenker der deutschen Linken heute der Europäischen Linken vorsteht, muss er feststellen: im restlichen Europa haben gerade die Rechten alle sozialen Programme der Linken geklaut und ihren Nationalismus mit dem Versprechen auf linke Wohltaten zu einer gefährlichen Mischung verbunden, womit sie große Teile der Arbeiterschaft für sich gewinnen. Gregor Gysi sieht voraus: irgendwann werde die AfD dieses Erfolgsmodell ebenfalls übernehmen.

Welche Position kann die Linke da noch einnehmen? Das Menschenbild müsse immer ein Allgemeines sein: „Links ist nicht, wer an der Seite der deutschen Armen steht, sondern an der Seite aller Armen – das ist der große Unterschied“, sagte der altvordere Linke, „selbst wenn man erst einmal Stimmen verliert“. Keine leichte Position in heutigen Zeiten, und auch eher defensiv. Wie defensiv, das konnte man am Tags zuvor an gleicher Stelle beobachten: da verwandelte der ultrarechte Legachef Matteo Salvini mit seinen Claqueuren eine Pressekonferenz in eine Jubelveranstaltung über seinen Wahlsieg in Italien. Wem nicht gefalle, dass seine Partei den Ort der journalistischen Neutralität zum Feiern missbraucht, könne ja gehen – so benimmt man sich heute, wenn man seine Wahlstimmen durch das Spielen mit sozialen Abstiegsängste gewonnen hat.

Wie aber sollen nun Linke darauf reagieren – oder anders gefragt: wie wird man Anbetracht dieser Lage wieder selbstbewusst, wenn man links ist? Politisches Selbstbewusstsein speist sich in erster Linie aus einer gefestigten Vorstellung, für wen man sie macht: wer ist der Mensch, dessen Bild der Politik vorschwebt? Also, liebe Linke und alle politischen Akteure, deren Herz links schlägt, es folgt hier nun ein Vorschlag.

Es wird nämlich Zeit, dass sich die Linke an einem postindustriellen Menschenbild orientiert. Nicht mehr ein halbwegs sozial abgesicherter Teilnehmer an der Über-Produktionsmachinerie sollte es sein, sondern ein freier, seine Lebensweise selbst bestimmender Mensch, für dessen Freiheit die Linken das Umfeld schaffen. Das einstige liberale Menschenbild ist das wirklich linke.

Dazu gehörte es auch, Abschied zu nehmen von den alttestamentarischen Narrativen und sich nicht mehr als Richter über ein gutes oder schlechtes Leben aufzuspielen. Beispiel Rente: Liebe SPD, ihr seid nicht der heilige Petrus, der den Moment des Renteneintritts zum Tag des Jüngsten Gericht auf Erden erklärt. Was geht euch das an, ob jemand schuldlos oder selbstverschuldet in Arbeitslosigkeit geraten ist? Das darf nicht mehr Maßstab seines Anspruches auf eine ausreichende und eigenständige Altersversorgung sein. Euch es geht nur an, dafür zu sorgen, dass kein alter Mensch mehr an der Tafel stehen muss.

Stichwort abhängige Erwerbsarbeit: Mehr oder weniger liebe Hartz-4-Fans bei den Sozis, überlasst es den Menschen, ob Arbeit deren Ein und Alles ist oder nicht. Selbst die Gewerkschaften sind da schon weiter und kämpfen für Flexibilisierung lohnabhängiger Arbeitsverhältnisse, weil die liebe Arbeit eben nicht das Ein und Alles aller ist. Das staatlich organisierte Arschtreten der eigenen Staatsbürger, auch Fordern und Fördern genannt, wird ja immer nur von denen befürwortet, die gerne zutreten wollen. Die Befriedigung dieses Bedürfnisses sollte einem Linken – und sei er auch Politiker – unwürdig erscheinen.

Das sind nur zwei Beispiele aus vielen. Man sollte jedenfalls nicht in diesem Enteignungskommunismus a la CDU-CSU verharren und wie deren Oberkommunist Dobrindt weiter dafür eintreten, Staatsbürgern, die aus welchen Gründen auch immer in die Lage geraten sind, für die elementaren Lebensbedürfnisse auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein, erst einmal zu enteignen, sprich, von Ihnen zu verlangen, erst einmal ihr Wohneigentum oder Alterssicherungsvermögen zu verbraten. Nein, ein Staat, der seine Bürger ernst nimmt, muss im Gegenteil dafür sorgen, dass er genau dieses trotz seiner Notlage behalten kann.

Wir wissen doch alle, jedenfalls alle bis auf die AfD, dass jemand, der sich hinstellt und sagt, er habe Angst vor der Islamisierung unseres Landes und dies vielleicht sogar so empfindet, damit im Grunde doch ganz anderen Ängsten Ausdruck verleiht. Ja, der hat Angst, aber wovor? Eine Gruppentherapie wäre nicht schlecht, um dem auf die Spur zu kommen, aber vielleicht gibt es auch eine Abkürzung: man möge diese Leute wieder vernünftig behandeln, nämlich als Staatsbürger, das heisst, ihnen mehr Freiraum bieten und beim Versagen nicht nur in den Arsch zutreten.

Also, liebe SPD-Delegierte auf dem außerordentlichen Parteitag in Wiesbaden: Soll euch ausgerechnet der neue Chef der Partei der Öko-Bourgeoisie, dieser bedächtige, fast schon philosophische Politiker neuen Typs, dieser Robert Habeck nämlich, das Wasser abgraben? Nicht der Mensch muss besser werden, die Politik muss anders werden, sagt der und formuliert en passant ein neues Menschenbild der Linken. Aber ihr könnt das auch! Und zwar schon auf an diesem Wochenende: Wählt die Flensburger Bürgermeisterin Simone Lange und nicht die Fraktionschefin Nahles zu eurer Vorsitzenden, lasst die SPD-Regierungsvertreter den Koalitionsvertrag im Ringen mit den Schwarzen abarbeiten, aber sorgt euch unabhängig von den Eitelkeiten und Ambitionen eurer Führung für die Erneuerung des liberalen Menschenbildes – damit auch ein Gregor Gysi nicht mehr Angst haben muss, dass die AfD mithört, wenn er von den Programmen der linker Sozialpolitik spricht.

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