Spiel mit dem Feuer
Seit den frühen Tagen des Ukraine-Kriegs ist das AKW Saporischschja von den Russen besetzt. Nun häufen sich die Drohnen-Angriffe auf das größte AKW Europas.
(KL) – Am Sonntag war die Nachrichtenlage verworren. Das russische Management des AKW Saporischschja meldete die Explosion von drei Drohnen über einer der sechs Reaktorkuppeln und sprach dabei von mehreren Verletzten, allerdings keiner Gefahr eines GAUs im größten AKW Europas. Diese Meldung wurde praktisch sofort von der Internationalen Atombehörde bestätigt. Doch nur eine Stunde später war diese Meldung veschwunden, nur um noch einmal eine Stunde später wieder aufzutauchen, allerdings in etwas abgemildeter Form. In der zweiten Meldung klang durch, dass man sich nicht sicher sei, dass es sich um ukrainische Drohnen gehandelt habe. Daraufhin veröffentlichten die ukrainischen Geheimdienste eine weitere Meldung, in der sie angaben, dass es sich nicht um ukrainische Drohnen gehandelt habe. Die russische Meldung sprach von ukrainischen Drohnen. Kurz – es bleibt die Tatsache, dass mehrere Drohnen auf dieses AKW abgefeuert wurden und dass es niemand gewesen sein will.
Am Abend erklärte dann Präsident Selenskyi in seiner abendlichen TV-Ansprache, dass wenn die USA nicht schleunigst Waffen und Geld freigäben, die Ukraine den Krieg verlieren und sogar verschwinden könnte. Dabei ist der Angriff auf Saporischschja ein gutes Argument, denn in Europa hat man weder Tchernobyl, noch Fukushima, noch die vielen anderen nuklearen Unfälle vergessen. Was passiert, wenn es in Saporischschja zum GAU käme, kann man sich ausmalen. Unklar ist nur, wer mit diesen Angriffen versucht, wen zu welcher Aktion zu bewegen.
Nur ist es mehr als gefährlich, ein AKW zu beschießen. Seit der Besetzung des AKW durch russische Truppen hat es bereits mehrfach Kämpfe rund um die Anlage gegeben und auch durchaus kritische Situationen, wenn bestimmte Systeme des AKW nur noch im Notbetrieb laufen konnten. Da nützt es wenig, wenn die Internationale Atombehörde beide Seiten auffordert, das AKW nicht weiter anzugreifen, denn die Folgen könnten verheerend sein. Und zwar für alle Beteiligten.
Die Angriffe auf kritische Infrastrukturen häufen sich auf beiden Seiten und die Eskalation des Krieges zeichnet sich deutlich ab. Wer dahinter steckt, ist kaum auszumachen. Offenbar handelte es sich tatsächlich um ukrainische Drohnen, bezeichneten doch die ukrainischen Geheimdienste den Angriff als „False Flag“-Aktion, also einen Angriff unter falscher Flagge, um diesen der Ukraine in die Schuhe zu schieben. Das wiederum weisen die Russen weit von sich und sagen, dass die Ukraine eine weitere Eskalation anstrebt, um weitere Hilfen des Westens loszueisen. Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? Aus der Entfernung ist dies nicht festzustellen, doch die Kommunikation am Sonntag zu diesem Angriff war mehr als seltsam.
Nur – mit Europas größtem AKW sollte man nicht „spielen“. Diese Anlage ist hochgefährlich und die wiederholten Kämpfe rings um Saporischschja stellen eine kontinentale Bedrohung dar, gegen die der GAU in Tchernobyl ein laues Lüftchen war.
Argumente für die eigene Position liefern diese Angriffe beiden Seiten. Russland sieht sich bestärkt, dass die ukrainische Regierung eine Art Amoklauf unternimmt und sie daher verschwinden soll und die Ukraine erhält weitere Argumente für die Lieferung von Waffen und Geld aus den USA und dem gesamten Westen. Insofern hätten beide Seiten „gute Gründe“ für solche Angriffe, doch merkt man immer deutlicher, dass der Wahnsinn des Kriegs zum System geworden ist.
Auch die sich häufenden Gegenangriffe tief im russischen Landesinneren zielen auf Energie-Infrastrukturen ab, weit über 1000 km im Landesinneren. Die Russen machen es seit Monaten nicht anders und überziehen die ganze Ukraine, von der Ostukraine bis nach Lwiw nahe der polnischen Grenze, mit Drohnen- und Raketenangriffen. Das alles klingt nach weiterer Eskalation und die gesamte Lage entgleitet langsam jeder Kontrolle.
Dennoch weigern sich alle Seiten weiterhin zu verhandeln. Die Ukraine will nicht verhandeln, da sie weiß, dass sie nicht ohne Landverluste im Osten des Landes aus diesem Krieg herauskommt und die Russen wollen nicht verhandeln, da sie militärisch eindeutig die Oberhand haben und es zumindest momentan nicht für nötig erachten, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
Und so wird das AKW Saporischschja nun wieder zum Spielball der Kriegsparteien, die hier allerdings extrem hoch pokern. Ein GAU in den sechs Reaktoren der Anlage hätte verheerende Folgen, die niemand wirklich einschätzen kann. Doch diese Angriffe auf Saporischschja liefern nicht nur der Ukraine und Russland neue Argumente für ihre Positionen, sondern auch allen, die sich für Verhandlungen und Friedens-Perspektiven einsetzen. Denn sollte es zu einem GAU in diesem AKW kommen, könnte es sein, dass es gar nicht mehr so viel zu verhandeln gibt…
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