Sport ist nicht Mord – und SIG spielt im Viertelfinale

Die Basketball Champions League sucht die vier Mannschaften, die in einem Endturnier in Bilbao den Titel untereinander ausspielen. SIG Strasbourg muss am Dienstag sein Heimspiel gegen Hapoel Holon gewinnen, wenn die Elsässer ihre Chance wahren wollen, eine davon zu werden.

Sigou, das quicklebende Maskottchen von SIG Strasbourg, heizt nicht nur die Stimmung in der Halle an, sondern spendet bei Bedarf auch Trost. Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – „Best of Three“ nennt man den Modus, nach dem man mindestens zwei Aufeinandertreffen für sich entscheiden muss, um als Sieger aus der Serie hervorzugehen und wenn man die erste Schlacht schon verloren hat, gibt es nur noch Endspiele. Genau das gilt nun für SIG Strasbourg, hatten die Basketballer aus dem Elsass doch vor einer knappen Woche in Israel ziemlich deutlich mit 75:93 verloren.

Aber im Grunde ist es ein schon ein kleines Wunder, dass sie sich überhaupt bis ins Viertelfinale durchgeschlagen haben. Im vorletzten Gruppenspiel lagen sie gegen den direkten Konkurrenten aus Vilnius schon mit 20 Punkte zurück und holten 23 Sekunden vor Schluss in einer wilden Attacke und dank ihrer Durchsetzungskraft unterm gegnerischen Korb sogar einen Punkt Vorsprung heraus, um aber in der allerletzten Sekunde einen Dreierschuss von den Litauern einstecken zu müssen. Die Heimniederlage war perfekt, nur machte das letztlich nichts. Denn das Hinspiel hatte SIG mit 5 Punkten siegreich gestaltet, nun im Heimspiel zwei Punkte hinten, macht in der Endabrechnung 3 Punkte Vorsprung. Niederlage ja, aber die SIG-Army, als die der Club seine treusten der getreuen Fans betitelt, konnte trotzdem einen Sieg feiern, denn diese drei Pünktchen aus beiden Schlachten brachten Straßburgs Korbjäger ins europäische Viertelfinale.

Ach je, ist das nicht schrecklich? Sportberichterstattung benutzt soviele Worte, die man nun auch in den schrecklichen Nachrichten aus Kriegsgebieten hört, Angriff und Verteidigung, Sieg und Niederlage, ja auch Kampf und Verlust, und dass, obwohl es beim Sport doch eigentlich nie wirklich ums Ganze gehen sollte. Oder irgendwie doch? Sport ist in einer Welt der modernen Fernfeuerwaffen quasi unersetzbar zur Wahrung des Friedens, sagt etwa die Verhaltensforschung, weil sie die Aggression in kontrollierbare Bahnen lenkt: Sollen die Menschen doch im Sport ihren überschüssigen Ertüchtigungsdrang und – wie der Gänseflüsterer Konrad Lorenz schon vor sechzig Jahren sagte – ihre Aggressionen gegenüber ihrer eigenen Spezies nach festen Regeln in Ersatzkämpfen austoben, da richten diese Urtriebe wenigstens keinen Schaden an.

Was Naturwissenschaftler mit der Vorsilbe „Ur“ versehen, gilt bei Geisteswissenschaftlern als „Archetyp“. Philosoph Peter Sloterdijk sieht um Wurf eines Balles die archetypische Nachstellung von Jagdszenen mit Stein oder Speer aus der Urzeit: „Mit einem ballistischen Objekt ein Jagdgut zu treffen, das mit allen Mitteln versucht, sich zu schützen“ – und natürlich erfolgt diese Jagd am besten im Kollektiv wie nun im Mannschaftssport.

Schön und gut, aber gilt das auch für kollektive Aggression, die nicht nur den Sportler überkommt, sondern auch die große Mehrheit der Sofasportler, also uns, die Zuschauer? Paul Auster, der Schriftsteller aus dem zivilisierten New York, erkannte im europäischen Fußball den Kriegsersatz, der seit dem Zweiten Weltkrieg für den Frieden in Europa gesorgt habe, dort, wo man sich doch über Jahrhunderte gegenseitig gemeuchelt hat. „Jetzt tragen“, so Auster über die WM von 1998, „die Länder ihre Schlachten mit Stellvertreterarmeen in kurzen Hosen auf dem Spielfeld aus“.

Passend dazu noch ein Zitat: „Der Sport ist die Schule des Friedens“ – wer hat das gesagt? Der Papst! Der Fürst von Himmelsgnaden muss es ja wissen. Allerdings gibt es irdische Stimmen, die es anders sehen. Der Sportwissenschaftler Andrew Bertoli etwa behauptet exakt gemessen zu haben, dass der Level der Aggression eines Landes ansteige, sobald sich seine Nationalmannschaft für die Fußball-WM qualifiziert hat. Dabei legte er den sogenannten „Militarized Interstate Dispute Standard“ zugrunde. Der MID ist ein Index zur Messung von Konflikten zwischen Staaten. In ihm werden nicht nur Kriegstote verrechnet, wenn der Ernstfall bereits eingetreten ist, sondern ebenso all die Drohungen, Provokationen und das propagandistische Säbelrasseln vor seinem Eintritt. Fußball ist Kriegsersatz? Unsinn, sagt Andrew Bertoli, Fußball könne hingegen Konflikte auslösen, verschärfen und schließlich zum Krieg verleiten. Um die entsprechende Stimmung in der Bevölkerung zu erzeugen, genüge bereits die bloße Aussicht auf die Teilnahme an einer Weltmeisterschaft. Diese Aussicht schon stärkt dieses Gefühl, „wer zu sein“ und damit auch den Hang dieses Wertigkeitsgefühl sich selbst zu beweisen und nach außen zu demonstrieren.

„Wer nicht gewinnen will, braucht gar nicht erst anzutreten. Das ist gut im Sport – aber auch in der Politik“, sagt wiederum die Schriftstellerin Cora Stephan. Ein rasantes Spiel kehrt bei allen Beteiligten den Atavismus pur hervor. Eine Blutgrätsche aufm Platz und auf der Tribüne werden „Männer zu Löwen und Weiber zu Hyänen“. Moderner Sport als Schaukampf wie einst unter rivalisierende Horden oder unter marodierenden Söldnern – wobei die Horden heutzutage gegen Entgelt auf der Tribüne sitzen und die hochdotierten Söldner auf dem Spielfeld nicht mehr zu marodieren brauchen, um dem getreuen Fan die Moneten aus der Tasche zu quetschen. Doch auf diese Weise lerne der Zuschauer was fürs Leben, nämlich dass Konkurrenz und Leistungswille der Motor ist, der die Menschheit vorantreibt. Sie sind nun einmal die Quelle aller Wirtschaftsdynamik, die Wurzeln des Wohlstands. Durch das Söldnertum im Profisport könnte man schließlich erkennen, dass man Zuwanderer als potenzielle Konkurrenten begrüßen sollte, die im wahrsten Sinne des Wortes das Geschäft beleben.

Soviel kann der Sport uns lehren, nur eines sollte man nicht tun, so die Autorin des Buches „Handwerk des Krieges“: Krieg mit einem Spiel zu verwechseln. Der gerade heute wieder oft bemühte preußische Kriegsschriftsteller des 19. Jahrhunderts, Carl von Clausewitz, verachtete regelrecht die sportliche Leichtigkeit, mit der die Generäle des 18. Jahrhunderts ihre Kriege führten: Deren „Manöverkriege“ waren bloße „Tändeleien ohne Leidenschaft und kriegerische Gesinnung“, ein lächerliches „Spiel der Könige“. Spätestens mit der Französischen Revolution und der Erfindung der Volkskriege und Völkerschlachten wurden Kriege tödlicher Ernst für alle – oder um es mit den Worten Clausewitz‘, dem Teilnehmer an den Napoleonischen Kriegen, zu sagen: Krieg ist die höchste Form der „Selbstbehauptung eines Volkes“.

Und was dann folgte lässt uns die Frage, ob Sport nun Kriegsersatz sei, umgekehrt stellen: Ist Krieg Ersatz für den Sport? Leidenschaft, Mannschaftsgeist, Gesinnung – man muss nicht gleich ans „Stahlgewitter“ eines Ernst Jüngers verweisen. Viel banaler und gleichzeitig beunruhigender ist, was der 1907 geborene Sebastian Haffner, der den Ersten Weltkrieg als junger Medienkonsument an der Heimatfront erlebte, in seinen Erinnerungen „Geschichte eines Deutschen“ schrieb: Aus den Frontnachrichten stellte der Schuljunge Zahlenlisten der Verluste beider Seiten auf und verrechnete die Anzahl der Toten wie Sportergebnisse – und wenn man ehrlich ist, wiederholt sich diese Geschichte gerade in einem selbst. Denn ertappt man sich als ferner Zuschauer der grausigen Ereignisse nicht so manches Mal dabei zu wünschen, die böse Seite möge höhere Verlustzahlen aufweisen als die gute?

Der Historiker erklärte sich aus dem Generationserlebnis seiner Knabenzeit die Begeisterung der 1920er Jahre für den Sport und die Hatz nach Vergleichslisten und Tabellen aus Punkten, Toren und Sekunden – und heute? Fast werde ich sehnsüchtig nach jenen Zeiten, als die 80 Millionen Geostrategen, zu denen die 80 Millionen Virologen in direkter Folge mutiert sind, noch 80 Millionen Bundestrainer waren. Was tun? Ab in eine Sportarena und selbst wieder zum allwissenden Tribünenstrategen werden und dabei aus dem Sport wenigsten für diesen Moment lang einen Ersatz für den Frieden machen!

Also noch einmal von vorn: In der Rhenushalle empfangen am Dienstag die Basketballspieler von SIG Strasbourg ihre Spielkameraden aus Holon zum zweiten Viertelfinalspiel in der europäischen Basketball Champions League. Hierzulande hegt man nur beste Erinnerungen an den Mitbewerber aus Israel. Vor zwei Jahren hatte man schon einmal gemeinsam im Elsass auf dem Parkett gestanden. Damals durften die lieben Gäste am Ende ein paar Punkte mehr mit nach Hause nehmen als man selber sammeln konnte. Und letzte Woche waren die Straßburger in Israel zu Gast und erlaubten den Gastgebern, sich sogar ganze 18 Punkte Vorsprung auf dem Spielberichtsbogen gutschreiben zu lassen.

Nun steht die zweite Zusammenkunft in Straßburg an, ein Treffen unter Freunden quasi schon. Wenn die elsässische Heimmannschaft wieder ihren Gästen die Punkte überlässt, dann kommt es für SIG Strasbourg in der kontinentalen Sportgemeinschaftsveranstaltung BCL vorerst zu keiner weiteren Zusammenkunft mit europäischen Sportsgenossen mehr. Das wäre natürlich schade, aber nichts desto trotz gehen wir als heimisch verbundene Zuschauer grundsätzlich davon aus, dass sich unsere Spieler nach all ihren Kräften immer redlich bemühen – sollten Sie dann auch dort sein und oben auf der Gegentribüne so ‘ne komische Type dabei erwischen, wie sie lauthals auf Deutsch „Flasche“ brüllt oder hämisch „Flasche leer“ vor sich her brabbelt, fassen Sie das bitte als Getränkebestellung auf – und so dann: Ein sportliches Prosit auf den Frieden!

SIG Strasbourg – Hapoel Holon
BCL-Viertelfinale
DI 12. April, 20 Uhr
Rhenushalle, Stadtteil Wacken

Infos und Tickets: www.sigstrasbourg.fr

Folgende Heimspiele in der französischen Liga:
Boulogne Levallois – SA 16. April, 18 Uhr
Bourg-en-Bresse – SA, 30. April, 15.15 Uhr
Le Mans – DI, 10. Mai, 20 Uhr

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