Sprachliche Aussetzer

Die Pandemie führt zu einer ganz neuen Sprache, deren Ungenauigkeiten uns noch lange beeinflussen werden. Dabei handelt es sich nicht „nur“ um Sprache, sondern um Probleme von morgen.

Kein Durchgang für Mutanten? Oder was? Nein - es gibt keine Mutanten! Foto: Tsungam / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Gestern erschien auf einem großen Nachrichtenportal, das normalerweise als seriös einzustufen ist, die Schlagzeile: „Forscher: Mutanten läuten dritte Welle ein“. Dabei gibt es gar keine Mutanten. Doch solche Begrifflichkeiten sorgen dafür, dass das ohnehin schon bestehende Klima der Angst weiter vertieft wird. Wir werden von Mutanten angegriffen! Das ist ja so schlimm wie ein Zombie-Angriff! Wir müssen also mit außerirdischen Feinden klarkommen! Doch nicht nur dieser Begriff ist problematisch.

Momentan haben wir es mit „britischen“, „brasilianischen“, „südafrikanischen“ Varianten des Coronavirus zu tun. Dass diese Virus-Varianten nun mit Ländern oder gar Regionen verbunden werden (man befürchtet gerade, dass es auch eine „elsässische Variante“ geben könnte), ist nicht ohne, denn bewusst oder unbewusst werden diese Länder und Regionen lange Zeit mit diesem Stigma leben müssen. Gesundheitsminister Jens Spahn hat vorgemacht, wie es richtig geht, doch sprachlich ist das auch eine Art Spagat. Er sprach von der „Variante, die zuerst im Vereinten Königreich festgestellt wurde“. Das klingt zwar ein wenig gespreizt, verhindert aber diese Gleichsetzung „Großbritannien = tödliches Virus“.

In allen Teilaspekten dieser Pandemie werden gerade sprachliche Ungenauigkeiten begangen, die lange anhalten können. Denn Jens Spahn ist einer der ganz wenigen, die sich um sprachliche Genauigkeit kümmern. Alle anderen sprechen weiter von der „britischen Variante“ und genau das trägt zu neuen Ressentiments bei. „Was will man auch schon von einem Land erwarten, das die EU so schmählich im Stich gelassen hat? Kein Wunder, dass von denen eine besonders gefährliche Variante des Virus kommt…“ – und das gleiche gilt natürlich für Südafrika oder auch Brasilien. Und für jede andere Region und jedes anderes Land, wo eine neue Variante auftaucht.

Es ist hoffentlich noch nicht zu spät, um diese sprachlichen Verwirrungen aufzufangen. Doch es wäre wichtig, dass wir alle zusammen auf unseren Sprachgebrauch achten, denn auch in diesem Bereich drohen Langzeitfolgen, mit denen die Risse und Gräben, die sich immer zahlreicher durch die Welt ziehen. Oder, wie es einst Rita Süssmuth formulierte: „Wehret den Anfängen“… Und nein – wir haben viele Probleme, aber von Mutanten werden wir noch nicht bedroht…

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