Steht Frankreich vor einer richtungsweisenden Woche?

Am Dienstag startet eine Streik- und Protestwelle, wie sie Frankreich seit vielen Jahrzehnten nicht erlebt hat. Das Land kocht und die Regierung erzählt, wenn sie sich dann mal äußert, haarsträubenden Blödsinn.

Millionen Franzosen würden gerne ihren Präsidenten in den vorgezogenen Ruhestand schicken... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Diese Woche könnte für Frankreich, den wackeligen sozialen Frieden im Land, aber auch für die Regierung richtungsweisend werden. Dass diese nun auch angesichts der Millionen Demonstranten gegen ihre Rentenreform, die einhellig von den Franzosen abgelehnt wird (93 % der arbeitenden Bevölkerung sind gegen diese Reform und über 70 % der Gesamtbevölkerung) nervös wird, ist verständlich, nachdem sie wochenlang die Massenproteste schlicht ignoriert hatte. Doch was Regierungssprecher Olivier Véran nun bei einer Pressekonferenz verkündete, schlägt dem Fass den Boden aus und selbst der sehr konservative TV-Sender CNews kommentierte Vérans Einlassungen als „die wohl dümmste Kommunikation der Regierung seit 2017“.

Angesichts des Umstands, dass es die französische Regierung nicht für nötig hielt, die größten Demonstrationen seit 30 Jahren zur Kenntnis zu nehmen, haben die Gewerkschaften angekündigt, am Dienstag, den 7. März, das Land zu „blockieren“. Das wiederum rief Olivier Véran auf den Plan, der in einer Pressekonferenz erklärte, die Protestierenden würden eine „ökologische und humanitäre Katastrophe“ heraufbeschwören, die unter anderem dazu führen würde, dass in 15 Jahren viele Französinnen an Gebärmutterhalskrebs erkranken würden. Weil die schlimmen Gewerkschaftsfinger das Land ins Chaos stürzen würden. Viel dümmer geht es in der Tat nicht.

Diejenigen, die gerade das Land ins Chaos stürzen, sind Präsident Macron und seine Erfüllungsgehilfen in einer Regierung, die mit elf Verurteilungen, acht Anklagen und zwölf Ermittlungsverfahren gegen Regierungsmitglieder einen traurigen Rekord in der V. Republik hält. Der Wille der Regierung, eine Reform durchzusetzen, die von einer erdrückenden Mehrheit der Franzosen abgelehnt wird, notfalls mit dem Paragraphen 49.3 auch am Parlament vorbei, ist ein Lehrstück dafür, was eine Demokratie NICHT sein darf. Dass Olivier Véran, der nach seiner nicht so überzeugenden Vorstellung als Gesundheitsminister während der Pandemie seinen Posten räumen musste, dafür aber als Trostpreis den Job des Regierungssprechers erhielt, nun versucht, die Franzosen für das Versagen dieser Regierung verantwortlich zu machen, passt zwar typischerweise zur „Macronie“, kommt aber einem politischen und intellektuellen Offenbarungseid dieser Regierung gleich.

Die Antwort auf diesen unglaublichen Blödsinn werden die Franzosen am Dienstag, den 7. März, auf der Straße geben und hatte die Regierung Ende Februar gehofft, dass die Franzosen bis zum 7. März keine Lust mehr zum Demonstrieren hätten, so wird sie nach dem 7. März nicht weiter so tun können, als sei nichts passiert. Zumal der 7. März nicht der Endpunkt dieser Protestbewegung ist, sondern der Startpunkt für eine Auseinandersetzung, die immer schärfer werden wird. Die Vorstellung der Regierung, dass ihre Polizeieinheiten Millionen Franzosen niederknüppeln und verhaften können, ist grundlegend falsch. Denn auch Polizisten sind Bürger und haben mittlerweile die Nase voll, von einer unfähigen Regierung permanent an der Demonstrationsfront verheizt zu werden.

Dann geht es am 8. März mit den Demonstrationen zum Internationalen Tag der Frauenrechte weiter. Auch diese dürften schärfer werden, nachdem die Regierung ein neues „Pack Neustart“ vorgestellt hat, das vorsieht, dass Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, dann eben die Wohnung verlassen sollen, wobei die Regierung mit einem völlig weltfremden „Pack“ helfen will, dafür aber versäumt, die Täter in die Wüste zu schicken und die Opfer häuslicher Gewalt geradezu doppelt bestraft. Überall in Frankreich werden also auch am 8. März die Menschen auf die Straße gehen, nicht nur die Frauen, um gegen die unglaubliche Inkompetenz und den Zynismus dieser Regierung zu protestieren. Je nachdem, wie die Streiks und Demonstrationen an diesen beiden Tagen ablaufen, muss damit gerechnet werden, dass die Proteste auch an den Folgetagen weitergehen.

Die verbalen Aussetzer von Olivier Véran zeigen, dass die Regierung tatsächlich nervös wird und etwas zu spät erkannt hat, dass ein solches Armdrücken mit der Bevölkerung nicht nur dumm und wenig zielführend ist, sondern sogar die Götterdämmerung der Macronie einleiten kann. Der Präsident tourt in Afrika, wo ihn eigentlich niemand mehr sehen will, die zweite und dritte Garde seiner Minister blamiert sich in der Nationalversammlung, Millionen Franzosen gehen auf die Straße, und erst jetzt, am Vorabend der größten Demonstrations- und Streikwelle der letzten 30 Jahre, schickt die Regierung Olivier Véran an die Front, wobei sein Herr und Meister offenbar vergessen hat ihm zu sagen, dass er möglichst wenig Blödsinn erzählen soll.

Wie Frankreich am Ende dieser Woche aussehen wird, kann heute noch niemand sagen. Doch dass Macron und Konsorten dachten, dass sie in einer Situation, die von drei Jahren Pandemie und nun vom Ukraine-Krieg geprägt ist, unbedingt ein undemokratisches Armdrücken mit der eigenen Bevölkerung veranstalten zu müssen, zeigt nur, dass die Macronie ausgedient hat. Und dass der Präsident sich nicht einmal mehr traut, zu dieser seiner Reform mit den Franzosen in einen Dialog zu treten, ist ein politisches und menschliches Armutszeugnis. Ob die Franzosen sich wohl bei den nächsten Wahlen daran erinnern werden, wer dieses Land tatsächlich ins Chaos gestürzt hat?

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