Sterben für die „europäischen Werte“?

Es ist wie vor jedem großen Krieg. Man überzeugt die Jugend der Länder, dass es ganz toll ist, für „Werte“ zu sterben. Und wie jedes Mal geht es letztlich um ganz andere Dinge.

Wie heldenhaft ist es, ein anderes Land anzugreifen? Wie heldenhaft ist es, ein Land und dessen Bevölkerung zu opfern? Foto: The Presidential Office of Ukraine / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Es ist wie vor dem I. Weltkrieg, es ist wie vor dem II. Weltkrieg. Man manipuliert die jungen Generationen, erzählt ihnen von Werte wie „Freiheit“, „Gleichheit“ und „Brüderlichkeit“, doch bei allen großen Kriegen ging es immer um andere Dinge. Wirtschaftliche Interessen und persönliche Ambitionen sind die Haupttriebkräfte bei jedem Krieg und unter den zahllosen Opfern aller Kriege befinden sich nur höchst selten diejenigen, die ganz persönlich von diesen Kriegen profitieren. Wolodomyr Selenskyi erzählt gerade in seinen vielen Großbildleinwand-Auftritten der Welt, dass sich in der Ukraine die Frage entscheidet, ob die Welt künftig „frei“ sein wird oder nicht, er erzählt davon, dass in der Ukraine „europäische Werte“ bis zum letzten Blutstropfen verteidigt werden. Und Putins Narrativ ist das gleiche, nur in der anderen Richtung.

Wie sehr wirtschaftliche Interessen über diesen nur schwer greifbaren „Werten“ schweben, erkennt man daran, dass nach wie vor jeden Tag Erdgas im Wert von rund 200 Millionen Euro von Russland, unter anderem durch die Ukraine, nach Deutschland gepumpt wird, von wo aus das russische Gas auch in andere europäische Länder verteilt wird. Russland versetzt uns also in die Lage, weiter unseren Aktivitäten nachzugehen und wir versetzen Russland in die Lage, weiter seinen Krieg finanzieren zu können. Wie unanständig ist es in einer solchen Situation, die Jugend der Ukraine und Europas im ukrainischen Schlamm abschlachten zu lassen?

Doch wie in den großen Kriegen des letzten Jahrhunderts wird auch 2022 der politische Diskurs immer kriegerischer. Wer Frieden fordert, ist ein „Weichei“. Frage: Was hat es den beim russischen Angriff auf eine Kaserne den jungen Männern und der Ukraine und den europäischen Werten gebracht, die dort dutzendweise getötet wurden? Haben sie die „Freiheit“ oder „europäische Werte“ verteidigt? Wie heldenhaft ist es wirklich, ganze Generationen Interessen zu opfern, die bisher noch nicht einmal klar auf dem Tisch liegen?

In allen Kriegen geht es um Geld, um geostrategische Fragen und um persönliche Ambitionen. Warum sollte das in der Ukraine anders sein? Wie ist es zu bewerten, dass trotz des inzwischen offenen Kriegs der Handel mit Energieträgern munter weitergeht? In den Sanktionen hat man bewusst die Bank ausgeklammert, über die Energielieferungen abgewickelt werden.

Wie bei der Entstehung der großen Kriege des letzten Jahrhunderts geben sich alle Mühe, weiter an der Eskalationsschraube zu drehen. Doch glaubt wirklich jemand, dass es der Ukraine gelingen wird, Russland militärisch zu besiegen? Ohne Hilfe des Westens ist dies auf Dauer ein aussichtsloses Unterfangen. Wirklich heldenhaft wäre es heute, alles daran zu setzen, das Töten und Sterben zu beenden, statt ein ganzes Volk zu opfern.

Die Strategie des Kreml-Fürsten ist bekannt, weil bereits mehrfach angewandt. Bei seinen Invasionen geht Putin immer nach dem gleichen Muster vor. Wenn er beim Einmarsch in ein Land auf Widerstand stößt, wie in Tschetschenien, Georgien und nun der Ukraine, geht er ziemlich schnell zum Verwüstungskrieg über, macht die Städte dem Erdboden gleich und zerstört gleichermaßen militärische, wirtschaftliche und zivile Einrichtungen. Angriffe auf die Zivilbevölkerung gehören fest zu Putins Programm. Parallel läuft ein gnadenloser Propagandakrieg, denn irgendwie muss man ja junge Menschen dazu bewegen, dorthin zu gehen, wo die Chancen getötet zu werden, enorm hoch sind.

Die einzige Diskussion, die sich lohnt zu führen, ist, wie man es anders als 1914 und 1939 machen kann. Denn wir sind auf dem besten Weg, die Geschichte einfach zu wiederholen. Aber braucht es wirklich noch einmal 100 Millionen Tote um zu begreifen, dass Krieg keine Probleme löst? Die wahren Helden sind heute nicht etwa die Kriegstreiber in ihren Büros und auf dem Sofa, sondern diejenigen, die sich weiterhin für Frieden einsetzen…

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