Straßburg geht neue Wege…

… und setzt konsequent eine „neue Politik“ um. Bereits in den ersten Wochen der neuen grünen Stadtregierung tut sich einiges. Auch, wenn das nicht allen passt...

Jemanden, der so lebt, zu bestrafen, weil er bettelt, ist ein Unding. Die Stadt ist gefordert, Lösungen zu finden! Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Ein Thema ist momentan ein echter Aufreger in Straßburg – die Aufhebung der „Verordnung gegen aggressives Betteln“ in der Innenstadt. Die neue Bürgermeisterin Jeanne Barseghian hatte dies bereits im Wahlkampf angekündigt und dieses Wahlversprechen nun umgesetzt. Der wichtigste Satz, den sie dazu sagte, zeigt, in welche Richtung sich die Stadt entwickeln möchte: „In einer Stadt, in der rund 25 % der Einwohner*innen unterhalb der Armutsgrenze leben, muss die Armut bekämpft werden, nicht die Armen“.

Das Problem des aggressiven Bettelns in der Straßburger Innenstadt ist ebenso vielschichtig wie die Reaktionen auf die Aufhebung der erwähnten Verordnung. Denn es gibt nicht „die Bettler“, die Gruppen, die in der Innenstadt kampieren, sind sehr unterschiedlich. Da gibt es organisierte Gruppen aus Osteuropa, deren Betteln sehr aggressiv und ein Problem für die Gastronomen der Stadt ist. Morgens organisieren sich diese Gruppen früh am „Place de l’Homme de Fer“ und verteilen die „besten“ Plätze und Touren. Diese Gruppen haben allerdings nichts mit anderen Gruppen zu tun, wie beispielsweise den Punks mit ihren Hunden am Place Kléber und die wiederum haben wenig gemein mit anderen Obdachlosen, die irgendwie versuchen, über die Runden zu kommen. Und eine weitere „Sondergruppe“ sind die zahlreichen Flüchtlinge, die unter unwürdigen Bedingungen ums Überleben kämpfen.

„Die Stadt gehört allen“, sagt Jeanne Barseghian, wissend, dass die Aufhebung dieser Verordnung eine Verpflichtung beinhaltet, sich anders als bisher um diese schwächsten Mitglieder der Gesellschaft zu kümmern. So kündigte die neue Bürgermeisterin auch an, dass die Teams der karitativen Einrichtungen, die täglich ihre Runden drehen und den Obdachlosen moralische Unterstützung, Nahrung, Kleidung, Kaffee und Tipps bringen, deutlich ausgeweitet werden sollen, was eine Maßnahme wäre, die schnell umgesetzt werden könnte. Doch dazu ist es unabdingbar, den Bereich der Sozialwohnungen deutlich zu vergrößern, neue, menschenwürdige Strukturen zu schaffen, in denen aktiv gegen die Ausgrenzung ganzer Gruppen gearbeitet werden kann. Denn eines ist klar – die Anzahl bedürftiger Menschen wird in absehbarer Zeit explodieren.

Doch die Entscheidung der Stadt, gegen diese Ausgrenzung zu arbeiten, die der damalige OB Roland Ries erlassen hatte, macht nicht alle glücklich. So ist das aggressive Betteln all denjenigen ein Dorn im Auge, die vom Tourismus leben, beispielsweise den Gastronomen, die ständig Bettler von ihren Terrassen vertreiben, wo diese zum Teil recht aggressiv die Kunden um Geld angehen. „Was ist denn das für ein Bild, wenn vor der Kathedrale morgen schon Bettler aus Osteuropa die Touristen und Straßburger angehen?“, fragt ein Gastronom, für den die neue Linie der Stadt eine Einladung zum aggressiven Betteln darstellt. „Gerade jetzt, wo alle versuchen, wieder etwas Boden unter die Füße zu bekommen, ist das kein gutes Zeichen.“

Schon klar, dass eine Stadtregierung mit ihren Entscheidungen nicht alle glücklich machen kann. Doch das neue Team unter Jeanne Barseghian zeigt, wo es künftig in Straßburg langgehen soll. Der Satz „wir müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen“, ein Slogan, den ausnahmslos jede politische Partei vor jeder Wahl zum Besten gibt, erhält in Straßburg gerade eine neue Bedeutung. An vielen Stellschrauben muss noch gedreht werden, damit sich die Situation nachhaltig verbessern kann, doch bereits nach wenigen Wochen wird eines klar – Straßburg hat sich eine neue Stadtregierung gewählt, die das tut, was sie zuvor angekündigt hat.

Es wehr ein frischer Wind in der Europahauptstadt. Straßburg hat das Zeug und die Ausstrahlung, in vielen Bereichen zu einer europäischen Lokomotive zu werden. Dazu gehört auch die Frage, wie man mit bedürftigen Bevölkerungsschichten umgeht. Und hier hat die Zukunft in Straßburg bereits begonnen.

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