Straßburg weder Meister noch Hauptstadt

In Straßburg hatte man sich viel vorgenommen: SIG wollte französischer Basketballmeister werden und die Eurometropole die „Grüne Hauptstadt Europas“. Beides lief schief – eine Parallelanalyse des doppelten Scheiterns

Noch eine Nummer größer - das Arena-Projekt von SIG Strasbourg im Stadtteil Wacken. Foto: Chabanne et Partenaires Architecte

(Michael Magercord) – Um es vorweg zu sagen: Es ist keine Schande, wenn man auch mal nicht Meister wird. Oder Hauptstadt. Die Luft in der ersten Liga ist dünn, egal, ob es darum geht, im Sport langen Atem zu beweisen oder in der Stadt für saubere Luft zu sorgen. Messen aber lassen muss man sich an den eigenen Ansprüchen und Verkündigungen.

SIG Strasbourg ist nicht französischer Meister geworden. Als Tabellensechster in der Liga geendet, ist die elsässische Basketballmannschaft bereits in der ersten Runde der Play-Offs in nur zwei Partien gescheitert. Besonders schmerzlich ist die Art der Niederlage im letzten Saisonspiel auf heimischen Parkett: 30 Punkte abzugeben in der zweiten Halbzeit, wenn man nach der ersten noch geführt hat – das war für den Trainer nicht nur eine „grausame Niederlage“, es war das Schlimmste, was er in seiner Laufbahn erlebt habe. Seine Saisonbilanz fiel entsprechend aus: Denn sechs Jahre lang, solange nämlich, wie Vincent Collet mit kurzer Unterbrechung in Straßburg im Amt ist, habe er nur Mannschaften erlebt, die am Ende der Saison besser waren als zu Beginn, aber diese Saison hätte sie sich nicht entwickelt, „keinen Jota“. Treu waren sich diese Spieler nur in ihrem Unsinn.

Woran hat es gelegen? Am Geld nicht, das Budget war ziemlich hoch. Für Trainer Collet haben aber die teuren Führungsspieler ihre Rolle nicht ausgefüllt. Damit habe die Hierarchie nicht gestimmt, was zu Konflikten geführt hat. Selbst die Stimmung im Training sei schon fürchterlich gewesen. Vereinspräsident Bellon drückte auf der Pressekonferenz zum Saisonabschluss so aus: „Wir werden in der kommenden Saison keine überbezahlten Spieler mehr verpflichten, die eine lange Vereinsliste vorweisen können und hier nur noch ihre Karriere beenden wollen“.

SIG hatte sich schon vor einiger Zeit noch viel mehr vorgenommen: „Arena“ heißt das Mammutprojekt eines Hallenneubaus im derzeitigen Entwicklungsstadtteil Archipel in Wacken. Denn noch immer steigt die Zuschauerzahl und so manches Mal ist die alte Rhenus-Halle ausverkauft. Größer soll nun alles werden und schicker. Das kostet. Noch steht die finale Entscheidung der Bankenfinanzierung aus, aber der Verein will weiterhin hoch hinaus. Langfristig hängt das natürlich auch vom sportlichen Erfolg des Vereins ab, den die Vereinsspitze weiterhin auch international ganz oben positionieren will. Immerhin konnte sich SIG auch für die kommende Saison für die Champions League qualifizieren, die aber trotz des schönen Namens im Europa des Basketballs nur zweite Wahl ist.

Nun ist Basketball ein schöner Sport und die Spiele von SIG sind dank ihrer speziellen Atmosphäre jedes Mal wieder ein Ereignis, aber Straßburg liegt trotzdem nur in Europa. Ja, es stimmt, oft bestimmen die US-Boys auch die hiesigen Mannschaften, aber es sind eben B-Spieler, die in den USA nicht so recht den Fuß aufs Parkett gekriegt haben. Das soll natürlich dem Spaß keinen Abbruch tun, denn ein Spaß – wie gesagt – ist es immer, den langen Jungs zuzusehen. Aber vielleicht würde es allen Beteiligten noch mehr Spaß machen, wenn man sich darüber im Klaren bleibt, wo wir hier sind. Und wenn man die Begeisterung in der alten Halle, die trotz der jüngsten Kalamitäten nie abgenommen hat, als Maßstab nimmt, sind sich zumindest die Fans und Zuschauer das auch.

Die Eurometropole Straßburg ist nicht Grüne Hauptstadt des alten Kontinents geworden. Um diesen von der EU jedes Jahr vergebenen Titel hatte sich die Stadt noch voller Übermut beworben, ist aber schließlich im Finale gescheitert.

Eine schmerzlose Niederlage vor allem deshalb, weil man in der Straßburger Verwaltung zutiefst davon überzeugt ist, man spiele ökologisch in der ersten Liga. Das mag vor etlichen Jahren noch gestimmt haben, als man die Straßenbahn reaktivierte und begann Fahrradwege einzurichten und beides auch noch dazu genügte, zumindest in Frankreich Vorreiter zu sein. Doch spätestens seit dieser Legislatur ist das Straßburg nicht mehr – und schon gar nicht in Europa.

Woran liegt’s? GCO, die große Westumgehungsautobahn und die anhaltend hohe Luftverschmutzung seien der Grund für die Niederlage, heißt es nun. Die Ursache aber liegt woanders. Eine zutiefst zerstrittene Mannschaft sitzt seit 2014 im Rathaus, die sich gleich am Anfang in einige Mammutprojekte gestürzt, um nicht zu sagen: verrannt hat. Am Budget liegt es jedenfalls nicht, wenn Straßburg nicht zur Grünen Hauptstadt geworden ist. Eher umgekehrt, vermutlich wird viel zu viel Geld für das Falsche ausgegeben. Der GCO ist ja nur eine der Großbaustellen, die Hochhausschneise bis an den Rhein in Richtung Kehl eine andere. Immerhin, einer der Hauptakteure mit einer langen Liste politischer Pöstchen und Posten hat nun das Handtuch geworfen und wird 2020 nicht mehr versuchen, Bürgermeister anstelle des Bürgermeisters zu werden.

Der GCO zeigt vielleicht am Besten, wo das Problem liegt. Denn wie viele es schon immer geahnt haben, soll die angestrebte Sperrung der heutigen Stadtautobahn die Möglichkeit zur Erschließung weiterer, großer Flächen Baugrundes eröffnen, um weitere, große Bevölkerungszuwächse zu erzielen. Ein paar Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende Bäume werden wohl zwischen den Wohnbauten noch Platz finden, allein, das wird die zukünftigen Hitzewellen in den bestehenden Stadtquartieren auch nicht abmildern.

Da wäre es wohl einfach besser, wenn man sich darüber im Klaren wird, wo man in Straßburg eigentlich ist. Ja, dank der europäischen Institutionen kann man sich in dem wohligen Gefühl wähnen, tatsächlich in einer der großen europäischen Metropolen zu leben. Wer aber ein zweites Mal hinschaut, stellt schnell fest, dass wir uns in einer Mittelstadt befinden. Einer zwar nicht so kleinen und auch ohne massiven Bevölkerungszuwachs ganz lebenswerten – beziehungsweise gerade ohne den ganzen Beton, den diese Erweiterung bedeutete. Ganz zu schweigen davon, dass diese Dauerbauerei das Demokratie zerstörende Stadt-Land-Gefälle noch verstärkt. Sollten also als Maßstab der Stadtentwicklung nicht besser die Ansprüche der bisherigen Bewohner dienen, anstatt jene von nur vermuteten Zuzüglern? Und wenn man dann die Gefahren durch den Klimawandel wirklich angeht und tatsächlich Bäume pflanzt, wo sie für eine spürbare Abkühlung sorgen können, hätte man sogar die Chance, irgendwann einmal den Titel der Grünen Hauptstadt tragen zu können.

Und Basketballmeister zu werden auch. Denn immerhin haben in dieser von den Profis verpatzten Saison die eigenen Nachwuchsspieler den französischen U17-Pokal geholt.

Übrigens: Europas Grüne Hauptstadt im Jahre 2021 wird Lahti in Finnland sein. Das hat das Komitee am 20. Juni bekannt gegeben. Französischer Basketballmeister ist ASVEL. Im letzten der fünf Finalspiele gegen den AS Monaco sicherte sich die Mannschaft aus Lyon am Dienstagabend den Titel. Wer aber schließlich Straßburg ins neue, heiße Jahrzehnt führen wird, entscheidet sich erst bei den Kommunalwahlen im März 2020.

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