Tango, Tango und… Tango – Argentinien in Straßburg

Argentinien kann mehr als Tango – wer das noch nicht wusste, kann sich ab Mitte März bei der zweiten Ausgabe vom „Festival Arsmondo“ in Straßburg vom Tango begeistern lassen – und dazu noch eines Besseren belehren.

Beim Festival "arsmundo" ist Argentinien das Gastland. Mit Tango, aber nicht nur... Foto: Estudio de la danza / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Tango vereint alles: Körper, Geist und Gefühl. Tango entsteht im Zusammenspiel dieser drei Lebenselemente. Kurz: Tango ist das Leben. Man könnte kokett behaupten, es gäbe noch etwas anderes als Tango im Leben, selbst in Argentinien. Dem ist natürlich nicht so, denn nicht einmal da, wo er im vollen Bewusstsein ausgeübt wird, gibt es ein Leben neben dem Tango. Wie sollte es dann dort möglich sein, wo man nicht einmal merkt, welchem Rhythmus das Leben wirklich folgt?

Das, was man landläufig unter Tango versteht, nahm seinen Anfang im Argentinien des 19. Jahrhunderts. Zunächst mit Gitarre, später Klavier und Bandoneon zogen erste Tangomusiker durch die ärmlichen Hafenviertel am Río de la Plata. Zwischen Kleinkriminellen und Huren, die von überall aus der Welt in die Slums von Buenos Aires und Montevideo kamen, blühte das Machogehabe für Arme – und mit ihm der Tango. Zuhälter, Ganoven, aber auch der verarmte und zum schnöden Arbeiter mutierte Gaucho konnte sich während des feurigen und doch so edlen Tanzes mit ebenso stolzen Damen einbilden, einem gehobenen Lebensstil zu frönen. Wie ein Gockel herumzustolzieren und dabei männlich und elegant zugleich zu wirken – das ist immer das Ergebnis von Einbildung. Und was, wenn alle dasselbe Spiel spielen, sich nämlich vorzugaukeln, sie führten ein selbstbestimmtes Leben? Was also, wenn also die Aufrechterhaltung der Fassade zum eigentlichen Inhalt des gesellschaftlichen Zusammenlebens wird?

Wer da die Parallele zum echten Leben auch abseits des Río de la Plata noch nicht ziehen konnte, den wird nun der Rückblick in das historische Umfeld des Tango unweigerlich ins Hier und Jetzt versetzen: Im Argentinien der 30er und 40er Jahren herrschte was man heute Reformstau nennen würde. Der Hunger im kriegszerstörten Europa machte das Land durch die Einnahmen aus Fleisch und Getreide zwar zum reichsten Land Südamerikas, aber an die Herausforderungen für die Zeit nach dem kurzen Boom wurde nicht gedacht. Es ist diese Periode zwischen 1935 und 1955, die nun als das „Goldene Zeitalter des Tangos“ gilt. Die Menschen besaßen etwas Geld, um sich am Wochenende das stolzes Vergnügen eines Abends im Tanzlokal leisten zu können. Und genügt nicht ein wenig Tanz auf dem Vulkan, um sich um die weitere Zukunft erst einmal nicht scheren zu müssen, auch wenn man schon ahnt, dass das nicht ewig so bleiben würde?

Es kam, wie es kommen musste: Hatte die linksnationale Regierung Perrons die Verbreitung der heimischen Kultur noch durch Zuschüsse, Gesetze und Radioquoten unterstützt, endete der erste Tango-Boom mit dem Aufkommen von Pop, Rock etc. War es nun vorbei mit dem Tango? Nein, denn nun entdeckten ausgerechnet die Intellektuellen den proletarischen Tango als Vehikel zur Kritik an der kulturellen Übermacht der Gringos aus dem Norden. Es mag also – wie gerne von Kulturverächtern behauptet wird – stimmen, dass die meisten Bewohner beiderseits des Río de la Plata noch nie Tango getanzt haben. Und doch: Niemand, egal wie nah oder weit dieser Jemand von dessen Ufern lebt, kann sich der Totalität des Lebensgefühls, das der Tango zum Ausdruck bringt, entziehen. Aber worin besteht das?

Die Tangotänzer unter uns werden schon lange gemerkt haben, dass hier ein Theoretiker am Werk ist. Bisher tat das nichts zur Sache, nun aber wird es gefühlig, ja geradezu persönlich. Deshalb folgen nun besser Zitate von Experten, die es wissen müssen: Jorge Aravena sieht im Tango den Ausdruck für das Leben, dass sich abspielt sich zwischen Kampf, Abgrenzung und Rivalität einerseits und Sehnsucht, Anziehung, Verlangen nach Nähe andererseits – ein Ringen um Zweisamkeit in der Einsamkeit. Ralf Sartori spricht gar von Zen: „Zeit spielt im Tango keine Rolle, auch nicht Geschwindigkeit, welche abhängig ist von der Zeit. Die Zeit ist, solange wir uns im Augenblick befinden, keine Größe in unserem Bewusstsein“.

Kommt es nach dem Tango zurück, das Bewusstsein wohlgemerkt, bröckelt die stolze Fassade. Das Gefühl der Einsamkeit ist wieder gegenwärtig, und mit ihm die Melancholie. Die schwebende Ahnung, dass das bewusste Leben in der Moderne im Grunde nur in der Meloncholie möglich ist, findet in diesem Tanz und seiner Musik ihren tiefen Ausdruck. Da mag man noch versuchen, die Fassade des stolzen, selbstbestimmten Lebens aufrechtzuerhalten und die Erfordernisse der Zukunft eine Weile auszublenden. Aber heutzutage, in unserer modernen Welt, in der nichts mehr bleiben darf wie es ist, sind wir alle zumindest zu anonymen Melancholikern geworden. Und somit kennen wir auch ohne jemals Tango getanzt zu haben, das Lebensgefühl, das sich mit ihm verbindet, nur zu gut – oder konkret: Wir sind bereit zur zweiten Ausgabe vom Festival Arsmondo und seinem Gastland Argentinien!

Ja, Tango ist das Leben, allerdings kann sich sein Lebensgefühl noch ganz andere Wege in der Kunst bahnen als durch Tanz. Und das Festival beschreitet sie alle: los geht es mit einer Ausstellungseröffnung am 15. März, weiter mit der Oper „Beatrix Cenci“ ab 17. März, es folgen Theater, Konzerte und Filme, dazu kommt noch die Theorie in Vorträgen von Experten. Aber klar, Tango gibt es natürlich auch, und zwar gleich in mehreren Varianten: den Unmöglichen mit einer Brassband, zeitgenössischen mit einem Saxophon-Quartett und religiös motivierter Misatango (beide 30. März). Dann darf man in einer Dokumentation den Umgang mit dem Tango von Tanzrevolutionärin Pina Bausch betrachten, und selbst den Kleinsten wird die Entdeckung des Tangos in speziellen Nachmittagen für Kinder angeboten (31. März  und 24. April).

Und schließlich sind wir dran: am Abend des 2. Mai wird in Straßburg zunächst der Vorplatz des Operngebäudes, danach die Brücke zum alten Postamt Schauplatz einer „Milonga“, einer Tangoparty im Freien – und alles um nur zu beweisen, was sich auch in nackten Zahlen ausdrücken ließe: 95 Prozent der in Argentinien hergestellten Tangotanzschuhe werden nämlich ins Ausland verkauft. Rock ’n’ Roll war gestern, Tango ist heute – Argentinien ist eine Kulturexportnation geworden, seit sich das melancholische Lebensgefühl, das der Tanz aus den Hafenvierteln des Río de la Plata widerspiegelt, auf der ganzen Welt mehr uns mehr geteilt wird.

Festival Arsmondo
Gastland: Argentinien

Oper, Konzerte, Vorträge, Ausstellungen

15. März bis 17. Mai in Straßburg
29. März bis 28. April in Mulhouse
3. April und 16./17. Mai in Colmar

Das vollständige Programm finden Sie hier!

Tickets unter: www.operanationaldurhin.eu

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