Tanz auf dem Vulkan?
Das traditionelle Musikfest in Frankreich brachte Abertausende auf die Straße. Man spürt ein großes Bedürfnis, das aktuelle Chaos für einen kurzen Moment zu vergessen.
(KL) – Zwischen den beiden Weltkriegen war in Europas Hauptstädten Party Time. Künstler wie George Grosz zeigten, wie die Menschen damals versuchten, ihre (berechtigten) existentiellen Ängste wegzutanzen und zu -koksen. Am Freitag war es in Frankreichs Städten ähnlich – man hatte das Gefühl, dass das ganze Land unterwegs war um zu feiern. Selbst zwischenzeitliche Wolkenbrüche konnten an der Partystimmung nichts ändern – es war ein Abend, an dem man alle düsteren Gedanken aus dem Kopf vertreiben konnte.
Gewiss, seit den Zeiten des Gründers dieses Musikfestes, des früheren Kulturministers Jack Lang, hat sich dieses jährlich am 21. Juni stattfindende Fest stark verändert und professionnalisiert. Kramten früher Amateurmusiker ihre Instrumente aus dem Keller, setzten sich mit Freunden vors Haus und spielten eine Jam Session, finden heute sehr professionelle Konzerte mit tonnenschweren Anlagen und Bühnen statt, stehen Würstchenbuden und Getränkestände an jeder Ecke, aber das ist auch in Ordnung so. Wichtig ist, dass die Menschen bei ihren Spaziergängen durch die Stadt bester Laune waren, jede Menge sehr unterschiedlicher Musik hörten und spät in der Nacht glücklich nach Hause gingen.
Nach den Jahren der Pandemie, in der Zeit mehrerer Kriege, die sich immer weiter auch unseren Ländern nähern, mitten im politischen Chaos in Frankreich, das die Rechtsextremen auf dem Weg zur Macht sieht, mussten die Menschen, insbesondere junge Menschen, einfach einen Abend lang Dampf ablassen. Genau das erinnert an das Berlin oder Paris der 20er Jahre, dieses Bedürfnis, mal einen Abend diesen ganzen Mist daheim zu lassen und ausgelassen zu feiern.
Zwischendurch öffneten sich in Straßburg die Wolken und es begann sehr heftig zu regnen, doch das konnte der Stimmung keinen Abbruch tun. Die Menschen blieben in der Stadt, die Musikanten schützten ihre Instrumente vor dem Regen und sobald dieser Wolkenbruch vorbei war, ging es gerade weiter wie zuvor. Auf dem altehrwürdigen Münsterplatz, im Schatten der Kathedrale, kam es zu regelrechten Sound Battles zwischen Perkussions- und Bläsergruppen, rockenden Theologen und einigen frustrierten Straßenmusikern, die keine Chance hatten, gegen die Lautstärke von 20 Blasinstrumenten oder zehn Trommeln anzukommen.
Ein riesiges Fest, keine Aggressivität, einfach nur Lust zum Feiern. Man wird in den kommenden Zeiten darauf achten müssen, öfters solche Gelegenheiten zu schaffen, bei denen es möglich ist, das uns alle umgebende Chaos wenigsten für einen kurzen Moment zu vergessen. Denn wenn man aus einem Kochtopf nicht den Dampf ablässt, dann explodiert er irgendwann und das ist weitaus schwerer in den Griff zu bekommen als ein riesiges Volksfest, bei dem auch deutsch-französische Polizeitrupps dafür sorgten, dass niemand auf die Idee kam, allzu sehr über die Stränge zu schlagen.
Kurz, es war eine schöne „Fête de la Musique“, die aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Spannungen in Frankreich, Europa und der Welt momentan nicht mehr wegzudiskutieren sind.
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