Tanz auf dem Vulkan

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat ihren ersten Bericht über die Lage in Europas größtem AKW im ukrainischen Saporischschja vorgelegt. Der Bericht ist wenig überraschend.

So sah das AKW Saporischschja vor dem Krieg aus und so wird es nie wieder aussehen. Foto: Ralf1969 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Europa und letztlich die Welt bewegen sich momentan immer weiter auf einen nuklearen Super-GAU zu. Wieder sind alle Reaktoren nach Kämpfen und Schäden abgeschaltet, Teile der Anlage in Saporischschja sind massiv beschädigt und der Chef der Internationalen Atombehörde Rafael Grossi zeigte sich nach dem Besuch seiner Expertenkommission mehr als beunruhigt. Das Fazit seines nun vorgelegten ersten Berichts ist eindeutig: Die Lage in Saporischschja ist „unhaltbar“.

Dass die ständigen Kämpfe rund um Europas größtes Atomkraftwerk noch nicht zum Super-GAU geführt haben, ist eher dem Zufall als der Umsicht der Kriegsparteien zu verdanken. Die nukleare Gefahr der Situation ist konkret und wird solange bestehen, bis entweder entsprechende Maßnahmen getroffen werden, oder der nukleare Katastrophenfall eingetreten ist. Doch was die sofort nötigen Maßnahmen anbelangt, so sieht es momentan nicht danach aus, als wären sich die Kriegsparteien bewußt, welche Gefahr diese Situation darstellt.

Alleine die wichtigste Maßnahme, die sofort getroffen werden müsste, nämlich die Einrichtung einer Sicherheitszone rund um das AKW mit seinen sechs (abgeschalteten) Reaktoren, wird weder vom russischen Aggressor, noch von der Ukraine umgesetzt werden. Die IAEA bietet sich zwar als neutrale Organisation an, eine solche Zone einzurichten und zu überwachen, doch setzt dies voraus, dass Russland und die Ukraine zustimmen und das wird wohl keine der beiden Seiten tun.

Die russische Armee kontrolliert die gesamte Anlage und überwacht dabei die ukrainischen Techniker, die laut Grossi einem derartigen Druck ausgesetzt sind, dass menschliche Fehler eine denkbare Folge sind. Nur – menschliche Fehler im Betrieb eines bereits stark beschädigten Atomkraftwerks können fatale Folgen haben. Obwohl die Experten der IAEA nicht alle Teile der Anlage besichtigen durften, konnten sie dennoch die Präsenz von Panzerfahrzeugen in den Turbinenhallen feststellen, dazu jede Menge weiterer, militärischer Ausrüstung.

Die Forderungen, die von der IAEA nach ihrem Besuch gestellt werden, sind natürlich absolut sinnvoll, doch steht zu befürchten, dass sie nicht umgesetzt werden.

So fordert die IAEA, dass die ukrainischen Techniker in die Lage versetzt werden, Sicherheits- und Sicherungsaufgaben zu erfüllen und dies tun zu können, ohne dabei massivem Druck seitens der Besatzer ausgesetzt zu sein, die vom Betrieb eines AKW nicht die Spur einer Ahnung haben.

Die IAEA fordert ebenfalls das Sicherstellen der Funktionsfähigkeit der zentralen Elemente des AKWs, also der Reaktoren selbst, aber auch der Kühlbecken für die Brennelemente und der Lager für strahlenden Abfall. Nur – durch den Beschuss der Anlage sind diese Minimalanforderungen bereits nicht mehr erfüllt.

Auch die Forderung einer sicheren, externen Stromversorgung ist von zentraler Bedeutung, doch auch bereits nicht mehr gegeben. Auch die Forderung nach sicheren Transportwegen in das und aus dem AKW ist momentan illusorisch – keine der beiden Kriegsparteien wird einen Rückzieher machen oder die Kampfhandlungen einstellen.

Ebenfalls schwer umzusetzen wird die Enrichtung einer unabhängigen, ständigen Strahlungsüberwachung rund um die Anlage sein. Denn dieser Ort ist ein Kriegsschauplatz, an dem ein „normales“ Arbeiten kaum möglich ist.

Das einzige echte Ergebnis des Besuchs ist es, dass ab sofort zwei Mitarbeeiter der IAEA ständig vor Ort sein werden. Was sie allerdings gegen die russische Militärverwaltung des Standorts ausrichten können, ist mehr als fraglich.

Russland wird auf keinen Fall das wertvolle Faustpfand Saporischschja aus der Hand geben und nach dem ersten halben Jahr dieses brutalen Kriegs sollte auch der Letzte begriffen haben, dass Russlands Handeln so etwas wie humanitäre Aspekte nicht kennt. Nun reicht ein größerer Zwischenfall, um eine nukleare Katastrophe auszulösen, deren Ausmasse Fukushima oder Tchernobyl wie Testläufe aussehen lassen würden.

Dass Russland mit dieser nuklearen Drohung hantiert und eiskalt Krieg rund um dieses AKW führt, ist eine noch nie dagewesene Situation und an den Reaktionen des Westens sieht man, dass niemand in der Lage ist, angemessen zu reagieren. Dass man sich an vielen Orten Sorgen über die weitere Entwicklung macht, ist nicht etwa „Panikmache“, sondern eine gesunde Einschätzung einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Situation.

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