Tanz über den Fluren der Macht (3/6)

Willkommen im Europaparlament. Wer sich auf den Fluren der Macht begegnet, begibt sich in eine Auseinandersetzung. Ausgetragen wird sie in einer repräsentativen Demokratie mit den Mitteln der Kommunikation – oder auf Fachidiotisch - der Politolinguistik.

Wer reden will, muss einen Adressaten finden. Oder vielleicht wendet sich auch jemand zu, wenn man vor sich hinredet. Es kann aber auch passieren, dass sich jemand abwendet, ausgerechnet, wenn man was besonders schön erklären möchte. Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – Wir könnten es uns natürlich einfach machen: Die Debatten im Parlament fallen ja eigentlich gar nicht unter die Kategorie „Kommunikation“, da es sich dabei nur um Einbahnstraßen des Redens handelt. Kaum vorstellbar, dass sich jemals ein Abgeordneter nach der Rede eines Kontrahenten zur Änderung seiner Ansicht überzeugen ließ. Aber natürlich gilt diese Art Kommunikation ja nicht den lieben Kollegen im Plenum.

Trotzdem schärfen die Abgeordneten ihre Schwerter der Rede im Parlament und beachten die goldenen Regeln der Politolinguistik, um die richtigen Worte an die richtigen Adressaten zu finden – nur, dass ihnen die Adressierten ihrer Dressur der Worte gar nicht unmittelbar gegenübersitzen. Denn die Zielgruppe der Kommunikation sind ja schließlich wir, die durch sie vertretenen Bürger und Wähler, und davon sowohl die tatsächlichen wie die potentiellen.

Drei Zielgruppen unterscheiden die Sprachwissenschaftler. Je nach Thema ihrer Rede erkennen die Redner in dem Zuhörer einen Sünder, Errettbaren oder Heiligen. Natürlich klingt das auf Englisch viel besser, und somit heißen – rein wissenschaftlich – die drei möglichen Adressatengruppen politischer Kommunikation: Sinners, Saveables und Saints.

Die Sünder sind Personen, die eigentlich für das Anliegen der Ansprache komplett verloren sind. Nichtsdestotrotz gilt es sie zu adressieren. Allerdings nicht mit der Absicht, den Menschen das Anliegen nahezubringen, sondern im Gegenteil: es ihnen zu verleiden. Die Botschaft an die hoffnungslosen Fälle muss eine laue sein: Das Thema berührt euch doch nicht, es ist überhaupt nicht wichtig, besser, ihr kümmert euch gar nicht erst darum.

Die Errettbaren sind jene, die selbst noch nicht wissen, wie sie zu dem Thema stehen sollen. Auf sie gilt es als Redner ganz besonders einfühlsam einzureden. Bei ihnen sollen sogar Argumente noch wirken, behauptet die Wissenschaft. Deshalb sind sie auch die anspruchvollste Zielgruppe. Man muss ihr auf beiden Ebenen begegnen: der Vernunft und den Gefühlen.

Die Heiligen sind sowieso schon auf der Seite des Redners. Sie wollen nur noch bestätigt hören, was sie eh schon meinen. Hier geht es nur noch um Emotionen, oder zugespitzt: um Mobilisierung. Das heißt, man muss den schon Überzeugten jetzt noch die Standfestigkeit mitgeben, allen Versuchen der Demobilisierung von der Gegenseite zu widerstehen.

Nun sind die Themen im weiten Rund des eierförmigen Plenums von Straßburg oft welche, bei denen man sich gar nicht vorstellen will, welche rhetorische Mühe es den gemeinen Abgeordneten kosten wird, in einer Rede alle drei Zielgruppen ansprechen zu wollen – oder was würden Sie denn taktisch sagen wollen zu solch gewichtigen Anliegen wie etwa dem Verbot von losen Plastikflaschendeckeln? Zumal die Debattenbeiträge darüber meist vor komplett leeren Rängen gehalten werden müssen und Sie selbst auf ihren Socialmedia-Kanälen für ihre Verbreitung unter den Sündern, Errettbaren und Heiligen sorgen müssten.

Es ist kein leichtes Brot und wir sind ja auch ein wenig gerührt von der Mühe, die sich die Politiker um unsere Seelen machen müssen. Auch deshalb haben wir, die Angesprochenen, nun für unsere frisch und weniger frisch gewählten Volksvertreter einen Ratschlag parat: Bitte verschont uns ab sofort und in aller Zukunft vor diesem Satz: „Wir müssen unsere Politik den Menschen nur besser erklären“.

Die Botschaft dieses Satzes richtet sich nämlich einzig und allein an den Redner selbst. Wenn wir hingegen ihn hören, dann wissen wir, dass es da nichts mehr zu erklären gäbe, was ein durchschnittlich begabter Zuhörer nicht schon lange verstanden hätte. Der Adressat hört und übersetzt die Botschaft des Satzes in seine Sprache: Da steht ihr wohl schon auf verlorenem Posten…

Und man muss ja auch kein Sprachwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass es in diesem Satz gar nicht mehr um eine Diskussion um die Sache selbst geht, sondern lediglich um ihre mediale Vermittlung, oder zu Deutsch: die Kommunikation. Die aber klappt selten gut, wenn man nur noch zu sich selbst redet.

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