Tanz über den Fluren der Macht (6/6)

Willkommen im Europaparlament - Wer sich auf den Fluren der Macht begegnet, begibt sich in eine Auseinandersetzung. Ausgetragen wird sie in einer repräsentativen Demokratie mit den Mitteln der Kommunikation – oder auf Fachidiotisch, der Politolinguistik.

Es ist vollbracht, die Choreografie hat ihren Höhepunkt erreicht. Sollte man zumindest annehmen, wenn man diese gelungene Formation sieht - Communication at its best! Oder doch das Gegenteil? Anbrüllen aus nächster Nähe? Über den Fluren Macht ist der Boden der Tatsachen. Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – Nun waren wir doch gestern ziemlich garstig, haben wir doch unseren gewählten Vertretern im Grunde vorgeworfen, nur von sich selbst sprechen, auch wenn sie zu uns reden. Wir könnten ihnen aber immerhin zu Gute halten, dass Politiker sich darüber gar nicht bewusst sein können, dass ihre Reden immer von ihnen handeln. Woraus man ihnen auch keinen Vorwurf machen kann, weil es ja auch bei mir und dir genauso ist.

Um dem wahren Inhalt unseres Redens auf die Schliche zu kommen, müsste man jede Rede einer profunden Diskursanalyse unterziehen. An welchen Stellen des Diskurses zeigt sich, woher der Redner seine Sprechhaltung bezieht: Wie wurde er sozialisiert, in welchem Umfeld, unter welchen Voraussetzungen? Was wiederum sagt er aus innerer Überzeugung, was nur, um Beifall zu erheischen?

Fragen über Fragen, die natürlich jedem gelten, der das Wort ergreift, also auch mir und dir. Aber bei Politikern, da sie ihre Reden nun einmal in der Öffentlichkeit schwingen, müssen wir aufmerksamer und gelegentlich auch strenger hinschauen. Zumal sie die Wirkung ihrer Worte und Sätze genau berechnen. Um aber die Faktoren ihrer Berechnung bloßzulegen, bedarf es einer profonden Diskursanalyse.

Die müssen wir den Wissenschaftlern überlassen. Wir können uns es an dieser Stelle vielleicht doch etwas leichter machen, indem wir eine Prämisse vorausschicken, die uns allerdings eher die Erfahrung als die Forschung lehrt: Politiker sind nicht nur eine Klasse für sich, sie reden auch auf ihre ganz eigene Art und Weise, zu der nur sie fähig sind. Wenn sie den Mund aufmachen, was sie gerne tun und ihnen natürlich auch unbenommen ist, dann sprechen sie politolinguistisch betrachtet mit sich selbst. Sie selbst allerdings täuschen sie sich über den wahren Adressaten ihrer Worte. Die sind nämlich weder die Sünder, Errettbaren noch die Heiligen irgendwo da draußen, sondern der Sünder, Errettbare und Heilige in ihnen selbst.

Dass Politiker eine eigene Sorte Mäuse sind, hatten wir schon festgestellt. Auch, dass dieser Umstand gar nicht schlimm ist, solange sie sich darüber im Klaren sind. Sie sollten sich also im Klaren sein, dass Durchsetzungsvermögen und stures Beharren zu ihren unabdingbaren Eigenschaften gehören, über die wir ja vielleicht nicht unbedingt verfügen. Vor allem aber muss sich jemand, der in der Politik was werden will, gerne reden hören. Auch das ist natürlich beileibe kein Alleinstellungsmerkmal von Politikern, bei ihnen aber gehört es zur Grundausstattung. Gefährlich wird es erst, wenn sie sich und ihre Worte für den Maßstab der Dinge halten. Um die Gefahren, die aus dieser Fehleinschätzung erwachsen können, zu minimieren, haben wir die Demokratie und ihre hoffentlich ausreichend fest gefügten Institutionen.

So, liebe Leser, damit endet unser Ausflug auf die Flure der Macht und ihre Welt der Worte, zumal unsere Abgeordneten ihre erste Sitzungswoche bereits hinter sich gebracht haben und aus Straßburg wieder abgereist sind. Was sich vielleicht bislang wie eine billige Politikerschelte gelesen hat, will nun schließlich auch ein wenig Gerechtigkeit walten lassen. Denn Parlamentarier mögen natürlich als dankbare Beobachtungsobjekte dienen, da sich ihre Tätigkeit, die ja ohne Reden gar nicht vorstellbar ist, meist in der Öffentlichkeit vollzieht. Gleichsam aber sind sie auch Anschauungsobjekte, an denen sich – wenn wir ehrlich mit uns sind – auch vieles widerspiegelt, was auch wir in unserem kleineren Rahmen zelebrieren.

Somit könnte diese Betrachtung also nichts anders bieten, als den Umweg zu Selbsterkenntnis und zur alten philosophischen Aufforderung, die für alle gilt: Erkenne Dich selbst! Zugegeben finden wir, dass sich insbesondere Politiker über ihre Rolle bewusst zu sein haben, stecken sie doch den Rahmen für unser Zusammenleben immer wieder aufs Neue ab.

Dabei auch ab und zu einfach die Klappe zu halten, wäre sicher eine Tugend, aber natürlich wissen wir, dass dieser Wunsch in einem Parlament, wo Handeln Reden ist, nur ein frommer Wunsch bleiben kann. Würden Politiker plötzlich verstummen, wäre es mit der demokratischen Politik vorbei. Deshalb bleibt uns eigentlich nur – wie schon vor fünf Jahren – unsere frisch und auch die weniger frisch gewählten Abgeordneten noch einmal an jene vier Tugenden zu erinnern, die der römische Philosoph und Staatsmann Marcus Tullius Ciceros allen Menschen, die auf die Flure der Macht drängen, vor über zweitausend Jahren für immerdar ins Stammbuch geschrieben hat:

Gerechtigkeit
Mäßigung
Tapferkeit
Weisheit

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