„The ‘Ayes’ have it, the ‘Ayes’ have it!“

Diese Woche sind die Dinge im britischen Parlament in Bewegung gekommen. Ein klein wenig. Aber schwer zu sagen, in welche Richtung sie sich entwickeln werden.

Bitte links abbiegen! Foto: Christophe Scholz / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Der Honorable John Bercow wäre fast ins Stottern gekommen. Nachdem die britischen Abgeordneten das Kunststück geschafft hatten, in den letzten Tagen 11mal gegen alle Brexit-Szenarien zu stimmen, die ihnen angeboten worden waren, kam  dann, in der Nacht zum Donnerstag, die Überraschung. Mit 313 zu 312 Stimmen nahm das Unterhaus den Gesetzesentwurf der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper an, der Theresa May einen „No Deal-Brexit“ untersagt. Und John Bercow, nachdem er 11mal “The No’s have it, the no’s have it” ins Unterhaus brüllen musste, hatte endlich mal ein “Ja” zu verkünden. Was er fehlerfrei tat. Gleichzeitig haben Theresa May und Oppositionsführer Jeremy Corbyn stundenlang miteinander gesprochen und fangen jetzt wohl an nach Lösungen zu suchen, die eventuell von den Tories und Labour getragen werden könnten. Fast drei Jahre nach Verkündung des Brexit und sechs Tage nach dem eigentlichen Brexit-Datum fällt es den britischen Politikern ganz schon spät ein, auch mal miteinander zu einer Frage einer solchen Tragweite für Großbritannischen zu sprechen…

Eine einzige Abgeordneten-Stimme hat also verhindert, dass das Vereinigte Königreich am 12. April mit „Hurra“ in die Katastrophe eines ungeregelten Brexit stürmt. Eine Abgeordneten-Stimme hat also den Ausschlag gegeben, in einem Land, das gerade behauptet, die Demokratie dadurch zu schützen, dass man einer hauchdünnen Mehrheit einer konsultativen Volksbefragung zum Anlass nimmt, das Land in eine nationalistische Katastrophe zu stürzen. Alles andere, so Theresa May, wäre undemokratisch. Beispielsweise ein richtiges Referendum, in dem die Briten entscheiden können, ob sie lieber in der EU bleiben oder das Abenteuer einer nationalistischen Selbstverstümmelung erleben wollen. Das wäre demokratisch. Was wäre denn gewesen, wenn einer der Abgeordneten im Unterhaus auf dem Weg zur Abstimmung gestolpert und ins Krankenhaus gekommen wäre? Dann hätte dieses Parlament ebenso demokratisch dafür gestimmt, dass Theresa May und die Hard Brexit-Verfechter das Land ohne weiteres Prozedere an die Wand fahren dürfen. Wie demokratisch ist eigentlich die britische Demokratie?

Nächsten Mittwoch treffen sich die EU-Regierungschefs zum Sondergipfel. Bis dahin muss in Großbritannien Klarheit herrschen, und das ist das realistischste Szenario: Da sich Anfang der Woche Tories und Labour lediglich im Grundsatz darauf einigen werden, dass man weiter miteinander sprechen will, um eine Lösung zu suchen, wird Theresa May das Mandat bekommen, in Brüssel um einen weiteren Aufschub zu bitten. Die EU, die keinerlei Interesse an einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU hat, wird diesen bis zum 22. Mai gewähren. Allerdings wird Großbritannien nicht an der Europawahl teilnehmen und keinen Tag zusätzlicher Verlängerung erhalten.

Und dann? Die Optionen, die allesamt vom Unterhaus abgelehnt worden sind, bezogen sich auf einen Verbleib in der Zollunion, einen Verbleib im Binnenmarkt, eine Assoziation nach dem Norwegen-Modell, ein zweites Referendum und das alles lässt sich so zusammenfassen: „Wir wollen aus der EU austreten, haben aber auch nach drei Jahren des Nachdenkens keine Ahnung, was wir danach machen wollen. Wir wissen auch nicht, was uns dieser Austritt bringen soll, aber er ist alternativlos, um die Demokratie zu retten.“ Das ist allerdings nichts Neues, sondern die Haltung  der britischen Politik seit fast drei Jahren. Was die Verantwortlichen für dieses Dilemma dann bis zum 22. Mai ausbrüten wollen, steht in den Sternen.

Die einzig wirklich demokratische Lösung, nämlich ein zweites Referendum, das heute einen ganz anderen Wert hätte, da die Briten heute wissen, was „Brexit“ tatsächlich bedeutet (und vielleicht lässt man dann auch die 3 Millionen Auslands-Briten mit abstimmen…). Doch diese einzig demokratische Lösung ist für das britische Polit-Establishment eine Horror-Vorstellung. Die Aussicht, das Volk könnte, nachdem es über die Folgen des Brexit Bescheid weiß, anders entscheiden als Frau May und Herr Corbyn dies wollen, scheint so schlimm zu sein, dass man alles dafür tut, dass diese wichtige Frage für die Zukunft auf keinen Fall vom britischen Volk entschieden werden darf. Warum eigentlich?

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