Thểt Hao và Văn Hóa – Philharmonie goes Racing
Ein ganz besonders Angebot für den Advent halten uns zwei der historischen Institutionen der Stadt bereit: Wer sich eine Konzertkarte für die Straßburger Philharmonie kauft, kann eine für das Fußball-Erstligaspiel von Racing Strasbourg obendrauf bekommen – und umgekehrt.
(Michael Magercord) – Vor langer langer Zeit war ich mehrere Wochen in Vietnam auf einer Reise vom tiefen Süden in den hohen Norden des Landes. Sie fiel ausgerechnet ins Saisonfinale um die deutsche Fußballmeisterschaft – ausgerechnet in jener Saison, in der mein Verein wieder einmal etwas reißen könnte! Internet gab es noch nicht, internationale Zeitungen waren draußen im Lande nicht zu haben. Trotzdem konnte ich die Bundesliga ziemlich zeitnah verfolgen. Und zwar dank der Wochenzeitschrift „thểt hao và văn hóa“, zu Deutsch: Sport und Kultur.
Jeden Dienstag kaufte ich mir die neueste Nummer. Das Heft vereinte Berichte über den internationalen Sport und die hohe Kultur. Die Fotos zeigten selbst den Lesern, die die Artikel gar nicht lesen konnten, Ausstellungen in Saigon, Hanoi oder Hoi An und Opernaufführungen in Paris, New York oder Moskau. Und die großzügig abgedruckten aktuellen Ergebnisse und Tabellen aus den großen Fußball-Ligen ließen sich auch ohne Sprachkenntnisse bestens dechiffrieren – kurz: Diese Zeitschrift hatte es mir angetan, und nicht nur, weil ich aus ihr der unglaublichen Meisterschaft von Werder Bremen gewahr wurde, sondern auch wegen ihrer gewagten journalistischen Mischung aus Spitzensport und hoher Kultur.
Und nun, fast dreißig Jahre später, soll wieder einmal gewagt werden, genau diese beiden entgegensetzten Pole zusammenzuführen, in deren Magnetfeld wir uns in allen denkbaren und manches Mal undenkbaren Formen unterhalten, amüsieren, erbauen, begeistern oder auch zu bilden meinen. In Straßburg nämlich kann man in der ersten Adventswoche ernst machen mit der jeweiligen Polarexpedition: Das Philharmieorchester OPS und der Fußballverein Racing Strasbourg Alsace bieten gemeinsam ein Ticketpaket für ein Konzert auf höchsten Niveau und ein Fußballspiel der höchsten Liga an. Für 57 Euro können die Fans des Spiels der klassischen Musik und die Liebhaber der Künste am runden Plastikleder in bester Eintracht auf ihre Kosten kommen.
Los geht’s am 1. Dezember mit Racing Strasbourg in der traditionsreichen Spielstätte in der Meinau im Süden der Stadt. Der Verein, dessen Gründung 1906 im Stadtteil Neudorf erfolgte und der 1979 französischer Meister war, musste sich nach der Insolvenz und dem Zwangsabstieg 2011 erst wieder hochkämpfen. Doch seit vier Jahren spielt seine Mannschaft wieder in der obersten Liga – und das gar nicht so schlecht. Nach einem guten Drittel der Saison behauptet man sich im oberen Mittelfeld, der Abstand zu den internationalen Plätzen ist geringer als der zum Abstieg. Trotzdem kommt es auf jeden Sieg an, auch gegen die Girondins aus Bordeaux.
Eine Expedition zwar nicht bis zum Pol, aber immerhin in seine unmittelbare Nähe verspricht das Konzert der Straßburger Philharmonie OPS am 2. und 3. Dezember im Palais de la Musique et des Congrès im Norden der Stadt. Unter dem Motto „Nordlicht“ erkunden die Musiker mittels der Werke von Edvard Grieg und Jean Sibelius die Tiefe des Raumes. Das Klavierkonzert des Norwegers und die 1. Symphonie des Finnen durchmessen dabei nicht die eigene Hälfte des musikalischen Feldes, denn sie können den lyrischen Einschlag aus der Habsburger Ecke kaum leugnen. Und romantisch durch und durch ist Robert Schumanns Ouvertüre zu „Hermann und Dorothea“, die sogar Anklänge der vorwärts stürmenden Marseillaise in ihren Tonreihen hat. Unter der Spielführung des neuen Chefdirigenten Aziz Shokhakimov wird der Gastkünstler Alexandre Tharaud auf dem Flügel seine Geläufigkeit entfalten dürfen. Natürlich wäre ein Solist nichts ohne das Team, und so steht ihm eines der besten Orchester Frankreichs zur Seite. Denn merke: Auf das perfekte Zusammenspiel kommt es an, egal ob im Stadion oder im Konzertsaal.
Wer also diese Gelegenheit nutzen will zur Expedition zu dem ihm am weitesten entfernten der beiden Pole, der darf sich auf einige unerwartete Entdeckungen auf dem jeweils unbekannten Terrain freuen. Dabei wäre es ja sogar verständlich, wenn man dem eher ungewohnteren Spektakel reserviert gegenüber stehen mag. Doch gerade die Kühle des Blickes öffnet den Weg zur Erkenntnis, die vielleicht nicht einmal jenem zuteil wird, der sich auf dem jeweiligen Terrain zuhause zu wähnen meint.
So lässt sich nämlich in einem Stadion, wenn man eben nicht gleich ganz und gar mitgerissen ist von der heißen Atmosphäre, bestens studieren, wie sich die Spieler, Trainer und Zuschauer, die VIPs, Honoratioren und schließlich auch die Journalisten Spiel für Spiel dabei abmühen, die Funktionsweise der modernen Gesellschaft im Kleinen nachzustellen. In ihrem gar nicht so weiten Rund werden die Akteure zu Politikern, die nach klaren Regeln ihren Wettstreit austragen, und die Fans sind das gemeine Volk, das die ganze Chose bezahlt. Hinter den getönten Scheiben gehen währenddessen die wahren Herrscher ihren Geschäften nach, und die Journalisten auf ihren zugigen Reporterplätzen sorgen dafür, dass alle anderen draußen im Lande von dem Spektakel ebenfalls Notiz nehmen. Und ist es für diese Gesellschaft nicht so erstaunlich wie bezeichnend, dass so ein eiskalt durchgerechnetes Geschäft wie der Profi-Fußball immer wieder so gewaltige Emotionen hervorrufen kann, wie es ein gelungenes Spiel nun einmal vermag?
Und wer sich in einen Konzertsaal begibt, der darf erleben, wie sich mithilfe der bürgerlichen Kunst das religiöse Hochamt und seine feierlichen Rituale in die meist doch ziemlich ungläubige Moderne hinübergerettet haben. Aus Hochachtung vor der Kunst in feinen Zwirn geworfen, lauscht man in andächtiger Konzentration den Ausführungen der Hohepriester des göttlichen Handwerks. Selbst wenn man der ganzen Aufführung nicht in gleichbleibend voller Aufmerksamkeit zu folgen vermochte, bleibt das tiefe Gefühl, allein durch das bloße Zuhören in eine höhere Sphäre gelangt zu sein, die weit über dem schnöden Alltag angesiedelt ist. Und ist es nicht ebenso erstaunlich wie bezeichnend, dass auch dieses Spektakel, das so gar nicht als eines erscheinen will, gestandene Bürger aus ihren samtenen Sesseln zu treiben vermag und zu stehenden Ovationen hinreißen lässt? Außenstehenden kann dabei der Verdacht beschleichen, dass diese frenetischen Klatscher in diesem Augenblick dann eher ihre eigene Anwesenheit bei diesem feierlichen Ereignis bejubeln, als die Musiker und ihre außersphärischen Darbietungen.
Egal also, ob Ihre Expendition in das jeweils unbekannte Reich in den Konzertsaal oder ins Fußballstadion führen wird, an beidem Orten gilt das gute alte Motto der vordigitalen Moderne: Dabei sein ist alles!
Lueur boréale – Nordlicht
Konzert der Straßburger Philharmonie OPS
Schumann: Ouvertüre von Hermann et Dorothea
Grieg: Konzert für Klavier in a-moll
Sibelius: Symphonie in e-moll
Dirigent: Aziz Shokhakimov
Klavier: Alexandre Tharaud
DO 2. und FR 3. Dezember, 20 Uhr
Palais de la Musique et des Congrès
Infos und Tickets unter DIESEM LINK.
Das Konzert wird aufgezeichnet für Medici.tv, Accent 4 und Radio Classique
Racing Strasbourg – Girondins de Bordeaux
MI 1. Dezember, 19 Uhr
Stade de la Meinau, Strasbourg
Tramstation und Bahnhof „Krimmeri-Meinau“ (Mit der Regionalbahn eine Station nach Kehl)
Infos unter diesem Link.
Und HIER gibt es das Ticket für beide:
Der Gesamtpreis von 57 Euro beinhaltet einen Nachlass von 20 % der normalen Eintritte.
ACHTUNG: Die Buchungswebsite ist ziemlich komplex und nur schwer zu durchschauen!
Auch die Daten für das Konzert sind darin falsch angegeben.
Ob uns also das Web-Portal ins Abseits schicken wird und dafür sorgt, dass doch wieder jeder der Sphäre verbleibt, in der er eh schon unterwegs ist? Doch es wäre wohl nur symptomatisch und bezeichnend, wenn uns die Tücken der Digitalisierung einmal mehr davon abhalten, tiefere Erkenntnisse über das Funktionieren unserer Gesellschaft zu sammeln.
Immerhin bietet uns dasselbe Internet die Möglichkeit, einen Blick zu wagen in Sport und Kultur aus Vietnam. Wer sich traut, der klicke doch einfach mal hier drauf…
HINWEIS:
Und natürlich noch der obligatorische „Corona-könnte-alles-noch-verändern-Hinweis“. Bislang gilt die 3G-Regeln in Frankreich, aber wer weiß, wie es in ein paar Tagen ist…
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