Tsipras in Straßburg: „Das Experiment der Austerität ist gescheitert“

Bei seiner Rede vor dem Europäischen Parlament unterstrich der griechische Regierungschef, dass sein Land bestrebt sei, gemeinsam mit Europa Lösungen zu finden.

Alexis Tsipras vor dem Europäischen Parlament - das ihn nur teilweise verstand. Foto: (c) European Union 2015 / EP Mathieu Cugnot

(KL) – Jean-Claude Juncker brütete mit finsterem Blick vor sich hin und die Hälfte der Europaabgeordneten verspürte keine Lust zu klatschen, als der griechische Premier Alexis Tsipras seine Rede vor den Europaabgeordneten beendet hatte. Denn nach wie vor ist den europäischen Konservativen die linke griechische Regierung mit ihren unverschämt demokratischen Prozeduren mehr als suspekt. Links und demokratisch, das ist dann den konservativen Lobby-Agenten auf den konservativen Abgeordnetenplätzen ein wenig zuviel. Schade, denn Tsipras hielt bei seiner Grundsatzrede ganz Europa erneut die Hand hin. Allerdings warb er auch um Verständnis dafür, dass sein Land nach fünf Jahren stümperhafter Troika-Maßnahmen am Ende sei.

„Griechenland ist zu einem Experimentierfeld für die Politik der Austerität geworden, aber dieses Experiment ist gescheitert“, sagte Alexis Tsripas und wer wollte ihm widersprechen? Die fünf Jahre der Maßnahmen der Troika, die einem alten liberalen Reflex folgend ihre Sparmaßnahmen dort ansetzte, wo man am wenigsten Widerstand erwartete, nämlich bei den sozial Schwächsten, haben Griechenland, das bereits am Abgrund stand, noch ein wenig weiter über die Klippe geschoben. So weit, dass am letzten Sonntag über 61 % der Griechen eine härtere Auseinandersetzung mit den europäischen Institutionen in Kauf nahmen. Nach dem Motto „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“. Doch die Verantwortlichen in den Regierungen und den Finanzorganisationen haben seit Sonntag immer noch nicht verstanden, worum es geht. Als sei Griechenland ein ungezogenes Kind, fordern sie nun noch schärfere Maßnahmen als diejenigen, die das griechische Volk bereits als unannehmbar bewertet hat. Offenbar meinen EZB, IWF und das institutionelle Europa immer noch, dass sie gemeinsam die von ihnen ungeliebte Syriza-Regierung aus dem Amt hebeln können. Doch da täuschen sie sich.

Tsipras macht in Straßburg deutlich, dass die Griechen fest und unverrückbar in Europa stehen. „Die europäische Geschichte ist eine Geschichte von Konflikten, die zu Kompromissen der Einheit und nicht zur Teilung geführt haben“, erinnerte er die EU-Abgeordneten. „Mein Land ist bereit, seine historische Verantwortung anzunehmen“. Was man leider nicht von den führenden europäischen Staaten behaupten kann.

Die schlechteste Rolle in diesem griechischen Drama spielt ohne Frage Deutschland. Ausgerechnet Deutschland, das in den frühen 50er Jahren selbst in den Genuss eines Schuldenschnitts kam, als die Alliierten (und auch Griechenland!) übereinstimmend feststellten, dass Deutschland nicht in der Lage sein würde, seine Schulden und Reparationen zu bedienen – damit Deutschland nicht im Schuldensumpf ertrinkt, wurde ein riesiger Schuldenschnitt gewährt, also genau das, was Deutschland heute denjenigen verweigert, die damals zugestimmt hatten, Deutschland zu retten. Wie kurz doch das historische Gedächtnis der Menschen ist…

In seiner Rede machte Tsipras klar, dass er sich darüber bewusst ist, dass die Wurzeln der Krise in Griechenland in erster Linie im Versagen der Vorgängerregierungen zu suchen ist. Korruption, systematische Steuerhinterziehung, Klientelpolitik – all das sind auch für Tsipras Realitäten – doch wies er ebenfalls darauf hin, dass auch die Troika genau in diesem Bereich versagt hat. „Die Austeritäts-Maßnahmen klammern die 10 % der reichsten Griechen einfach aus“, sagte er.

Eine weitere Wahrheit, die auf den Sitzen der Konservativen mit eisigem Schweigen quittiert wurde, erklärt die ganze Dramatik, unter der das griechische Volk leidet: „Die Griechenland zur Verfügung gestellten Mittel haben niemals das griechische Volk erreicht, sondern wurden zur Rettung der Banken eingesetzt“ – und genau hier scheiden sich die Geister. Alexis Tripas will nicht länger zusehen, wie sein Volk verelendet, während sich die „Geldgeber“ nur dafür interessieren, dass die Banken keine Verluste hinnehmen müssen, gleich, ob die Menschen hungern oder keine medizinische Versorgung mehr haben oder anders leiden. In der Opposition „Menschen oder Banken retten“ steht Tsipras nach wie vor ziemlich alleine da.

Insofern war es wenig verwunderlich, dass Tsipras unterstrich, „dass eine Vereinbarung gefunden werden muss, die dem griechischen Volk zeigt, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, doch muss die Last von denen getragen werden, die dazu in der Lage sind. Die Wahrheit ist, dass die arbeitende Bevölkerung hierzu nicht mehr in der Lage ist.“

Tsipras, der inzwischen für die europäischen Konservativen zum Buhmann geworden ist, wies ebenfalls darauf hin, dass seine Regierung erst seit etwas mehr als fünf Monaten im Amt ist – um die Probleme zu lösen, die von den politisch Verbündeten derjenigen zu verantworten sind, die ihm gestern den Applaus verweigerten. Was er dabei nicht sagte, ist, dass die Syriza selbst an der Situation deutlich weniger Verantwortung trägt als die Troika und seine konservativen Vorgänger wie Samaras, der bei den europäischen Institutionen immer ein gern gesehener Gast war. Kein Wunder, störte Samaras auch nie die Kreise der internationalen Finanzmärkte, die Mittel und Wege gefunden hatten, selbst mit der griechischen Krise Geld zu verdienen.

„Entweder wird Europa demokratisch werden oder Europa wird Probleme haben die schweren Stunden zu überleben, die wir gerade durchschreiten“, sagte Tsipras, doch angesichts des eisigen Schweigens, das auf Seiten der Konservativen im Europäischen Parlament herrschte, bekam man nicht das Gefühl, dass die Aussicht auf ein demokratisches Europa für diese Abgeordneten attraktiv sei. Die kommenden Tage werden zeigen, ob Europa den Dreh hin zur Demokratie schafft oder an einen Punkt kommt, an dem man seine Institutionen eigentlich auch abschaffen könnte.

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