TTIP – Leidet die SPD an einer Art „Stockholm-Syndrom“?

Was an TTIP und CETA "frei" sein soll, hat noch niemand erklärt. Europa unterwirft sich gerade amerikanischen Interessen und niemand weiß warum. Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Als im August 1973 RAF-Terroristen in der Stockholmer Botschaften Geiseln nahmen, zeigten hinterher einige der Geiseln Verständnis für das Anliegen der Terroristen. In der Psychologie nennt man dieses Phänomen heute das „Stockholm-Syndrom“. Unter etwas Ähnlichem muss gerade die SPD leiden – denn sie kann es gar nicht abwarten, dass endlich die Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) zum Abschluss kommen. Auch, wenn das Europa noch ein Stückchen weiter in die Bedeutungslosigkeit schickt.

SPD-Genossen erleben gerade schwierige Zeiten. Denn was die Sozialdemokraten gerade zum Thema „Freihandelsabkommen“ abliefern, ist rational kaum noch zu erklären. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schwelgt in Phantasien, dass nun der weltgrößte Wirtschaftsraum mit 800 Millionen Menschen zwischen den USA und Europa entsteht. Dabei übersieht er offenbar, dass alleine China mit 1,2 Milliarden Menschen und die BRICS-Staaten mit bald 2,5 Milliarden Menschen ein ganz anderes Gewicht darstellen. Doch statt zu schauen, wie sich die BRICS-Staaten organisieren, würde Gabriel den USA am liebsten die Schlüssel für die europäische Wirtschaft in die Hand drücken. Und dabei en passant einen Großteil der sozialen und anderer Errungenschaften opfern, für die Menschen in Europa lange, lange kämpfen mussten.

So ist bis heute noch von niemandem sinnvoll erklärt worden, warum im Rahmen des TTIP den Amerikanern ein einseitiges Mitspracherecht an der europäischen Gesetzgebung eingeräumt werden soll. Oder warum private Schiedsgerichte europäische Staaten zu hohen Geldstrafen verurteilen dürfen, wenn sie der Ansicht sind, dass US-Unternehmen dort nicht so behandelt werden, wie sie sich das wünschen. Von den Umwelt-, Arbeitsrecht- und Sozialstandards, die in den USA weitgehend unbekannt sind, ganz zu schweigen.

Nach wie vor meint die SPD, dass das TTIP zu „Wachstum“ führen wird. Na klasse. Wachstum, das Goldene Kalb der europäischen Wirtschaft, das Zauberwort, mit dem sich jeder Einschnitt in die sozialen Netze rechtfertigen lässt. Doch eigentlich hatten viele SPD-Genossen gedacht, dass die Sozialdemokratie eine Art Regulativ für den wild gewordenen Libralismus der Konservativen wäre – nun stellt sich heraus, dass die SPD diesen transatlantischen Irrsinn nicht nur akzeptiert, sondern sogar noch befördern will. Was die Frage aufwirft, wer am Ende in der Politik eigentlich noch die Interessen der Menschen vertritt?

Nach wie vor wird geheim und hinter verschlossenen Türen verhandelt. Selbst die EU-Abgeordneten erhalten nur die Informationsbröckchen, die man bereit ist, ihnen zuzugestehen. Niemand weiß im Moment um den Status der Verhandlungen und der Gedanke, dass man dort etwas zu verbergen hat, ist nachvollziehbar. Denn wer von Transparenz schwafelt, aber im Geheimen verhandelt, der macht sich verdächtig.

Umweltschutz, Verbraucherschutz, Sozialstandards – in allen diesen Bereichen werden sich die USA durchsetzen und ihre Regeln diktieren. Warum eigentlich? Die USA, mit ihren 300 Millionen Einwohnern, sollten in einer solchen Partnerschaft der Juniorpartner der EU mit ihren 500 Millionen Menschen sein – das Gegenteil ist der Fall.

Man will zollfrei zwischen den USA und Europa Handel treiben? Prima – dann würde es ja völlig reichen, würde man die Zölle abschaffen. Dafür ist es nicht nötig, die europäische Gesetzgebung dem Plazet der USA zu unterwerfen. Man will gemeinsame technische Standards? Dafür reichen ein paar technische Expertenkommissionen, die ihren Regierungen die entsprechenden Beschlussvorlagen vorbereiten. Dafür ist es aber nicht nötig, das Funktionieren der europäischen Wirtschaft in die Hände der amerikanischen Politik zu legen, die selbst so erfolgreich ist, dass sie erst vor kurzem an der Staatspleite vorbei geschrammt ist.

Viele Menschen würden sich ein funktionierendes Europa wünschen. Das TTIP und das CETA sind allerdings Instrumente, die genau dies verhindern werden. Und für die es folglich überhaupt keine Notwendigkeit gibt. Das Misstrauen der Menschen in Europa gegenüber Politikern wie Juncker & Co., die ihnen durch ihr Verhalten gegenüber amerikanischen Großkonzernen bereits Milliardenschäden beschert haben, ist mehr als verständlich. Dass dies jetzt auch noch politisch festgezurrt werden soll, ist ein unsäglicher Kotau vor den Lobbys der amerikanischen Wirtschaft.

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