Türkei: Wettbewerb der kleinkarierten Kommentare

Nach der Wahl von Recep Erdogan überschlagen sich deutsche Politiker mit unpassenden Kommentaren. Wie dem, die Beitrittsverhandlungen der Türkei in die EU zu beenden.

Ah, der Sonnenuntergang über Pamukkale... die Türkei gehört nach Europa! Foto: Davidetorino at it.wikipedia / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Da wird in der Türkei erwartungsgemäß Recep Erdogan zum Präsidenten gewählt und offensichtlich ohne nachzudenken melden sich die politischen Hinterbänkler zu Wort – Sommerloch oblige. Dabei passt sich die Qualität der Kommentare dem tiefsten möglichen Niveau an. Schade, dass es kein Gesetz gibt, dass Politiker dazu zwingt, vor dem Reden erst einmal zu überlegen, was sie so von sich geben.

Den Vogel schoss dabei der Spross einer großen Politikerfamilie ab. Das Greenhorn im Europäischen Parlament, Alexander Graf Lambsdorff (FDP… doch, doch, die gibt es noch!) vertrat die Ansicht, dass es nun „höchste Zeit [ist], die aussichtslosen Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei zu beenden“. Aha. Da weiß der Graf ja viel mehr als wir. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind also aussichtslos? Interessant, das mal zu erfahren.

Aber hat Herr Graf auch mal darüber nachgedacht, in wessen Arme die EU die Türkei von Recep Erdogan schubst? Was passiert, wenn die Türkei mit ihrer geostrategisch so wichtigen Lage als Partner Europas und der westlichen Bündnisse ausfällt? Nö, natürlich nicht. Eben einfach mal drauflos geplappert, in der Hoffnung, aus dem grauen Meer der namenlosen EU-Abgeordneten aufzutauchen. Aber leider: Thema verfehlt, Setzen, sechs!

Auch Elmar Brock (CDU), eigentlich nicht für unqualifizierte Äußerungen bekannt, musste noch einen drauflegen. Er befürchtet eine autokratische Machtfülle für Erdogan, die den türkischen Rechtsstaat gefährden könnte. Und – „eine solche Entwicklung würde den Beitrittsverhandlungen mit der EU endgültig die Grundlage entziehen.“ Na dann, also auch von Seiten der CDU die offene Drohung. „Wenn ihr euch nicht so verhaltet, wie die deutschen Konservativen und Liberalen es für richtig halten, dann dürft ihr auch nicht in die EU.“ Anderswo nennt man das „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Oder Erpressung.

Statt dauernd mit dem Mittelfinger vor der Nase der Türken herum zu fuchteln, wären die EU-Spitzenkräfte besser beraten, ein wenig mehr nachzudenken. Es sei denn, Europa fühlt sich fit genug, sich ab sofort gegen alle zu stellen. Gegen Russland und den großen Osten Chinas, gegen Indien, Brasilien und Südafrika und jetzt auch noch gegen die Türkei und deren natürliche Verbündete in den ehemaligen GUS-Staaten, in denen Turkvölker leben?

Wollen wir wirklich in der Türkei die Sehnsucht nach einem Osmanischen Reich 2.0 nähren und die Türken praktisch zwingen, sich andere Partner zu suchen? Wollen wir das wirklich? Graf Lambsdorff? Dreimal dürfen Sie raten, wer als verständnisvoller Partner der Türkei sofort in den Startlöchern stünde. Man muss sich auch klarmachen, dass nach Umfragen ungefähr zwei Drittel der Türken die EU und die NATO mittlerweile ablehnen. Sollte die Türkei aus diesen Zusammenhängen ausscheiden, steht die EU in all ihrer Ohnmacht richtig schlecht da.

Das halbstarke und christlich-fundamentalistische Geschwätz einiger deutschen Politiker ist natürlich grundlegend falsch. Das ohnehin schon angeknackste Gleichgewicht in der Welt setzt voraus, dass die Türkei in westlichen Bündnissen zuhause ist und dabei nicht nur von den Pflichten, sondern auch von den Vorteilen profitieren kann. Die Türkei in die Arme eines wartenden Wladimir Putins zu treiben, ist so ziemlich der blödeste Vorschlag, den die deutsche Politik in den letzten Monaten gemacht hat. Klasse, Graf Lambsdorff, auf Sie wartet eine große diplomatische Karriere. Vorausgesetzt, Ihre politische Splittergruppe ist dann noch in dem einen oder anderen Parlament vertreten.

Auf jeden Fall sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ernsthaft wieder aufgenommen werden. Mit Ländern wie Serbien verhandelt man ja auch. Aber manchmal fragt man sich wirklich, was Europa da am 25. Mai so zusammengewählt hat…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste