Ukraine: der lange Weg zu europäischen Investitionen

Im Rahmen unserer Partnerschaft mit EuTalk und The Russian Monitor veröffentlichen wir die deutsche Version dieses bereits auf Französisch auf EuTalk erschienenen Artikels über die aktuelle Lage in der Ukraine.

Igor Ivanov sieht einen enormen Reformbedarf in der Ukraine, bleibt aber optimistisch. Foto: privat

(Igor Ivanov) – Direkt an den Grenzen zur EU gelegen, ist die Ukraine immer noch terra incognita für die meisten europäischen Unternehmen. Dabei ist die Ukraine für Investoren wegen der Möglichkeit hohe Gewinne zu erwirtschaften interessant, doch bleibt gleichzeitig das Geschäftsklima aufgrund zahlreicher Risikofaktoren instabil. Der ukrainische Geschäftsmann Igor Ivanov untersucht für EuTalk die Möglichkeiten, Hindernisse und durchzuführenden Reformen, mit denen europäische Investitionen im Land gefördert werden können.

Die Vorteile der Ukraine für europäische Investoren liegen auf der Hand und beschränken sich nicht auf die geographische Nähe zur EU: Gut organisierte Logistiknetze, sowohl innerhalb des Landes als auch zu ausländischen Märkten, geringe Betriebskosten und relativ günstige Rohstoffe, im Vergleich zu europäischen Normen kostengünstige und qualifizierte Fachkräfte (alle Ukrainer sind nicht nach Polen und in andere Länder ausgewandert…) sind dabei nur einige Beispiele. Dazu verfügt das Land über ausreichend freie, erschlossene und zu erschließende Zonen, die sich für die Ansiedlung von Produktionsstätten eignen.

Alles das stimmt. Doch Jahr für Jahr führt eine andere Realität dazu, dass die Hindernisse für Investitionen gleichzeitig gegenüber diesen Vorteilen an Bedeutung gewinnen. Der militärische Konflikt, der seit mehr als sieben Jahren im Osten der Ukraine andauert reicht nicht aus, um die alten Vorurteile zu erklären, die wiederum erneut gegen Investitionen sprechen. An erster Stelle steht ein Mangel an Vertrauen in das Justiz-System, eine endemische Korruption, eine starke Parallel-Wirtschaft, eine unklare Handelsgesetzgebung und die Langsamkeit der Reformen. Die Investoren sehen keine bedeutende Entwicklung in diesen grundlegend wichtigen Bereichen, die ein positives Investitionsklima schaffen können. So ist es auch kein Zufall, dass die Verantwortlichen in der Ukraine geschockt und aufgebracht waren, als die estländische Präsidentin Kersti Kaljulaid ihre Landsleute aufforderte, mit der Ukraine Handel zu treiben, aber dort nicht zu investieren, da die Justizreformen in der Ukraine als unzureichend betrachtet werden. Der ukrainische Parlamentspräsident Dmytro Razumkov hat selbst erst kürzlich von den Unzulänglichkeiten des Justizsystems in der Ukraine gesprochen. Seiner Ansicht nach kann ein Investor, der sich in der Ukraine engagiert, nicht sicher sein, dass er sich morgen auf die gleichen Rechte und Bedingungen verlassen kann wie in anderen europäischen Ländern, ohne sich einem sozial-wirtschaftlichen System der Korruption zu unterwerfen.

Ein weiterer ungünstiger Indikator: die Entwicklung der COVID-19-Pandemie. - Diese hat zwar die lokale Wirtschaft nicht mehr oder weniger betroffen als die Weltwirtschaft. Aber in der Ukraine wird die Situation ständig durch weitere Faktoren erschwert, was die Lage noch schwieriger macht: zahlreiche unvorhersehbare rechtliche Innovationen, Änderungen der Bedingungen, unter denen sich Unternehmen in der Ukraine niederlassen können oder auch ständige Veränderungen in der Regierung. All das ist nicht dazu geeignet, den Unternehmen Vertrauen in die Zukunft zu vermitteln.

Arbeiten die Unternehmen alle unter gleichen Bedingungen in der Ukraine? – Hier ist die Rede von strategischen Elementen, beginnend mit der Korruption oder der Arbeitsweise der Gerichte. Doch die Unternehmen müssen sich auch in ihrer täglichen Arbeit zahlreichen Herausforderungen stellen. Hier denke ich besonders an die Kontrollen durch unzählige ukrainische Kontroll-Organisationen, an die Schwierigkeiten, mit den Zoll- und Steuerbehörden zu kooperieren und viele andere „Kleinigkeiten“. Nicht zu vergessen die Existenz zahlreicher Inspektionsdienste, deren Mitarbeiter so schlecht bezahlt werden, dass es am Monatsende eng wird. Während ihre eigentliche Aufgabe ist, die Staatskasse zu füllen, mit Geldern, die bei Unternehmen erhoben werden, die am Rande der Legalität arbeiten, so bedienen sie sich in der Praxis an diesem Budget und fördern die Korruption, von der sie natürlich nur persönlich profitieren. Im Klartext: sie arbeiten auf „eigene Rechnung“. Ausländische Investoren sind nicht die einzigen, die mit diesem Problem konfrontiert sind, die ukrainischen Geschäftsleute leiden ganz genauso darunter. In meiner täglichen Arbeit muss ich mich ständig mit solchen Schwierigkeiten auseinandersetzen. Und wenn man ein ehrlicher Geschäftsmann ist, der ordentlich seine Steuern zahlt und seine Gehälter nicht etwa in einem Umschlag (wobei der oftmals größte Teil des Gehalts schwarz neben dem offiziell angegebenen Gehalt gezahlt wird) auszahlt, dann betrachten einen die Kollegen sogar wie ein „schwarzes Schaf“.

Können die Unternehmen also unter gleichen und fairen Bedingungen arbeiten? Auf dem Papier ist das Gesetz für alle gleich, doch seine Auslegung und Interpretation variieren je nach Fall. Einige Geschäftsleute halten sich streng an die Gesetze, andere versuchen, diese aus eigenen finanziellen Interessen zu umgehen. Um das Gesetz zu umgehen, wendet man eine relativ einfache Methode an: man nimmt die Dienste korrupter Beamter in Anspruch. Und sehr oft sind diese Beamten dann auch an den Gewinnen der von ihnen „betreuten“ Unternehmen beteiligt. Gleichzeitig ist der Beitrag legal operierender Geschäftsleute zum Haushalt hunderte Mal höher als derjenigen, die im Schatten arbeiten. Denn diese zahlen einfach keine Steuern.

Die Regierung muss ehrliche Unternehmen motivieren – Im Zentrum dieser Probleme steht die ukrainische Mentalität, die erklärbar ist: Natürlich wollen wir Teil von Europa werden, wir sprechen von europäischen Werten, aber sehr oft leben mit nach den Stereotypen und den Gewohnheiten der Vergangenheit. Das System trägt selbst dazu bei. Ein Beispiel: Meine Haupt-Geschäftstätigkeit ist der Transport von Passagieren in der Ukraine. Vor der Pandemie habe ich bis zu 1 Million Euro in die Renovierung der Busbahnhöfe in zwei östlichen Regionen des Landes investiert – Zaporizhzhya und Kherson. Meine Kollegen haben mich dafür als verrückt bezeichnet. In ihren Augen und allgemein sollten die Gewinne, die ein Unternehmen erwirtschaftet, dem Firmeninhaber nutzen und nicht etwa der Entwicklung des Unternehmens zugutekommen. Ich hoffe, dass sich diese Mentalität eines Tages in ihr Gegenteil verwandelt und dass die ukrainischen Unternehmer verstehen, dass erwirtschaftetes Geld in die Entwicklung des Unternehmens, neue Technologien und die Ausbildung der Mitarbeiter investiert werden muss. Aber der Weg dorthin ist momentan noch sehr weit.

Doch die wichtigste Entwicklung muss auf einer anderen Ebene stattfinden: Der Staat muss, auf die eine oder andere Art, denjenigen Anreize bieten, die wieder in die Unternehmen investieren. Hierfür stehen der Regierung verschiedene Instrumente zur Verfügung. Eines dieser Instrumente habe ich bereits mehrfach vorgeschlagen: Ein Moratorium der Inspektionen für diejenigen, die sich an die vorgegebenen Regeln halten. Ein zweites Instrument wäre die Senkung des Steuereinstiegssatzes. Als drittes Instrument sollte die Regierung einen Betrag definieren, der Investoren in Form von Steuerguthaben gewährt wird, damit dieses Geld investiert werden kann. Soweit ich informiert bin, wendet Estland diese Methode an.

Ebenso sollten Geschäftsleute gefördert werden, die ihren Angestellten die Gehälter legal auszahlen (und nicht das System der Umschläge nutzen, Anmerkung der Redaktion). Hier sollten ehrliche Unternehmen gefördert und nicht ehrliche Unternehmen empfindlich bestraft werden.

Der Staat muss ebenfalls seine Zuständigkeiten erfüllen, die ihm im Rahmen der von ihm erlassenen Gesetze obliegen. Um beim Beispiel meines Unternehmens zu bleiben, so ist dieses beauftragt, bestimmte Kategorien von Passagieren zu transportieren – Rentner, behinderte Personen und Kriegsversehrte. Und genau das tun wir und nichts anderes. Nicht etwa, weil wir Angst vor Strafen haben, sondern weil wir uns darüber bewusst sind, dass die Gesellschaft diesen Dienst braucht. Laut Gesetz steht uns hierfür eine finanzielle Kompensation zu. Aber aus unerfindlichen Gründen zahlt der Staat diese Kompensation nicht aus…

„Invest nannies“ für „invest babies“ – Als Wolodymyr Zelensky Präsident wurde, haben die Behörden klar signalisiert, dass sie gewillt sind, die Bedingungen für Investitionen in der Ukraine radikal zu verändern. Vor zwei Jahren, bei einem großen Wirtschaftsforum in Mariupol, nur 30 km hinter der Frontlinie gelegen, wurde das Versprechen gemacht, „Invest Nannies“ einzurichten, deren Aufgabe darin bestünde, großen Investoren dabei zu helfen, die Bürokratie zu bewältigen und die Korruption zu umgehen. Investoren wurden aufgefordert, sich an Privatisierungen zu beteiligen und in Häfen, Straßen und andere Infrastrukturen zu investieren. Doch auf gesetzlicher Ebene nahm dieses Vorhaben erst am 10. Februar diesen Jahres Form an, als Wolodomyr Zelensky das Gesetz Nr. 1116-IX unterzeichnete, das den Titel „Staatshilfen für große Investitionen in der Ukraine“ trägt und mit dem der Staat Investoren in Projekte mit einem Wert von mehr als 20 Millionen Euro Unterstützung anbietet. Das Gesetz sieht ebenfalls Steuerbefreiungen und rechtliche Erleichterungen vor, den Bau von Infrastrukturen auf Kosten des Staats und lokaler Budgets, sowie eine vereinfachte Prozedur bei der Zuweisung von Geländeparzellen. Allerdings weiß heute noch niemand, wie dieses Instrument in der Praxis funktioniert, dabei hat die staatliche Agentur UkraineInvest bereits mehr als 70 Anträge auf staatliche Unterstützung erhalten. Darunter befinden sich 26 Projekte in einem Gesamtwert von 1,9 Milliarden Dollar, die realisiert werden sollen. Unter den Antragsstellern befinden sich Unternehmen aus Litauen, der Schweiz, Mexiko, China, der Türkei, Zypern, Polen, Irland und der Ukraine. Ungefähr die Hälfte der Anträge kommt aus der Ukraine. Hoffen wir, dass dieses rechtliche Arsenal dazu beiträgt, die Investitionen in der Ukraine zu befeuern. Denn um ein prosperierendes Land aufzubauen, müssen wir Slogans und Absichtserklärungen hinter uns lassen, das Gesetz respektieren und lernen, unsere Verpflichtungen und Engagements einzuhalten.

Igor Ivanov ist ukrainischer Unternehmer und Präsident des Transportverbands Zaporozhoblautotrans.

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