Und auf einmal wacht Europa auf…

Seit einem Jahr schlagen sich alle EU-Mitgliedsstaaten mit dem Coronavirus herum. Zu den unendlich vielen Maßnahmen gehören auch Grenzsperrungen und Einreisebeschränkungen. Und nach einem Jahr wacht Europa auf…

Lösungen bietet die EU-Kommission keine an - dafür verschickt sie "blaue Briefe"... Foto: EmDee / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Ein Jahr lang hat man das institutionelle Europa eigentlich nur zur Pandemie gehört, wenn es um Geld ging. Abgesehen davon, dass es selbst hier noch keine tragfähige Lösung gibt, ist es seltsam, dass die EU nach einem Jahr entdeckt, dass zeitweise Grenzen geschlossen werden. Dass die EU-Kommission in Brüssel nun ultimativ „Erklärungen“ von Deutschland und anderen Staaten einfordert, da die Maßnahmen an den Grenzen zur Tschechischen Republik und Tirol in Brüssel als „nicht angemessen“ betrachtet werden. Auch Belgien, Dänemark, Finnland, Schweden und Ungarn sollen nun ihre Maßnahmen gegenüber „Brüssel“ erklären. Ist das nun hektischer Aktionismus? Will die EU ihr völliges Versagen während des letzten Jahres vergessen machen? Und – will sich die EU nicht endlich um eine europäische Pandemie-Strategie kümmern, statt nun den Aufpasser an den EU-Binnengrenzen zu spielen?

Der Grund für die Maßnahmen an der Grenze zu Tschechien und Tirol liegt auf der Hand. In den Grenzregionen herrschen sehr große Unterschiede in der Inzidenz und da ist es normal, dass man temporär versucht, die Mobilität zwischen diesen Grenzregionen zu reduzieren. Ein Jahr lang haben solche Maßnahmen niemanden in Brüssel auf den Plan gerufen und plötzlich benimmt sich die EU, als sei sie mehr als ein Zuschauer dieser Situation. Das ist sie aber nicht. Der Beitrag zur pandemie-Lösung des institutionellen Europas geht gegen Null. Nicht einmal die Bestellung der Impfdosen hat die EU richtig hinbekommen. Da könnten sich die Brüsseler Beamten eigentlich jetzt auch bedeckt halten und statt schlauer Kommentare lieber an echten Lösungen arbeiten. Aber damit sind die 33.000 Brüsseler EU-Beamten offensichtlich überfordert.

Die Nachfrage von Brüssel wurde dann auch gleich in Form eines Ultimatums gestellt. 10 Werktage haben die Mitgliedsstaaten, die einen „blauen Brief“ aus Brüssel erhalten haben. Dabei steht in diesem „blauen Brief“ eine ziemlich persönliche Einschätzung, die durch nichts fundiert ist. „Wir glauben“, steht in dem Brief, „dass das nachvollziehbare Ziel Deutschlands – der Schutz der öffentlichen Gesundheit in einer Pandemie – durch weniger restriktive Maßnahmen erreicht werden könnte.“ Ach ja? Durch welche Maßnahmen denn?

Dass speziell in den Grenzregionen auch die Virus-Varianten unterwegs sind, das hat sich noch nicht bis Brüssel herumgesprochen. Insofern ist es billige Kommunikation, was Brüssel da gerade abzieht und eigentlich sollte dieser ultimative Brief unbeantwortet bleiben, zumindest so lange, bis Brüssel mehr präsentiert als den „Glauben“ einiger EU-Beamter. Wie wäre es beispielsweise mit einer fundierten wissenschaftlichen Stellungnahme?

Die EU hat ihre Mitgliedsstaaten ein geschlagenes Jahr alleine im Regen stehen lassen und bis heute keinerlei realistische Lösungsansätze präsentiert. Und nun benimmt sich die EU-Kommission wie ein Familienvater, der seine Familie verlassen hat, ein Jahr später zurückkommt und sofort wieder die Erziehungsgewalt ausüben will. Und das klingt nicht so sehr glaubwürdig.

Vielleicht sollten die Regierungen einen Brief an die EU schreiben und diese ultimativ auffordern, innerhalb von 10 Werktagen ein tragfähiges Konzept für eine europaweite Pandemie-Strategie vorzulegen. Eine solche Strategie würde auch den Glauben an das institutionelle Europa wieder stärken können. Denn dieses Vertrauen wird täglich weniger – Europa fehlt es an Konzepten, an Perspektiven, an Kompetenzen und am Willen, Europa wirklich solidarisch voran zu bringen. Mit Briefen wie demjenigen, der von der Kommission verschickt wurde, wird dieses Vertrauen auf keinen Fall wieder aufgebaut werden können…

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