Und das Europäische Parlament macht in Brüssel weiter…

Das Europäische Parlament kommt frühestens im März zurück nach Straßburg. Das sagen zumindest die Offiziellen. Aber glaubt das wirklich noch jemand?

Dunkle Wolken über dem verwaisten Europäischen Parlament in Strasbourg... Foto: Qwesy / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Dass in der aktuellen sanitären Lage keine Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments stattfinden, das versteht jeder. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass gar keine Sitzungen stattfinden. Diese werden, wie in praktisch allen Organisationen, aktuell als Videokonferenzen organisiert, wobei diese Videokonferenzen von der Präsidentschaft aus dem Parlamentsgebäude moderiert werden. Warum die Präsidentschaft das allerdings von Brüssel aus tun muss und weiterhin den Parlamentssitz Straßburg ausklammert, bleibt unverständlich. Die Organisation einer solchen Video-Sitzung wäre völlig unproblematisch von Straßburg aus zu organisieren gewesen. Schnell beeilten sich die Offiziellen des Parlaments zu erklären, dass man vielleicht im März wieder in Straßburg tagen will. Allerdings fehlte eine Jahresangabe bei dieser Ankündigung…

Ein Sprecher des Parlaments machte die Ansage: „Aufgrund der leider immer noch schwierigen sanitären Lage und trotz des erklärten Willens des Europäischen Parlaments so schnell wie möglich nach Straßburg zurückzukehren, werden die nächsten Sitzungen (Januar, Februar) als Video-Sitzungen mit einer Präsidentschaft im Sitzungssaal in Brüssel durchgeführt werden. Die Abgeordneten können sich aus den Mitgliedsstaaten aus zu Wort melden, wie es bereits seit Oktober praktiziert wird. Wir weisen darauf hin, dass die französischen Behörden darum gebeten haben, dass auch die eigentlich Anfang Februar geplante Trauerfeier für den verstorbenen Präsidenten Giscard d’Estaing auf April verschoben wird, aufgrund der aktuellen sanitären Lage in Frankreich und besonders im Departement Bas-Rhin.“ Aha.

Die Corona-Inzidenz kann schon mal nicht der ausschlaggebende Grund sein. Diese liegt nämlich in Brüssel-Zentrum bei 240 (in einigen Vierteln wie Etterbeek sogar bei 345), während sie in Straßburg bei 200 liegt. Wenn es nach Aussage des Parlamentssprechers nur darum geht, dass der Präsident mit einer Handvoll Mitarbeiter im Sitzungssaal die Sitzungen leitet, dann wäre es doch möglich gewesen, dass David-Maria Sassoli nach Straßburg kommt und die Sitzungen vom eigentlichen Sitz des Europäischen Parlaments aus leitet. Aber die europäischen Institutionen bleiben lieber in Brüssel, als nach Straßburg zu kommen. Und auch die aktuellen Unruhen in Brüssel, nachdem ein junger Farbiger in einer Polizeistation ums Leben kam, wohin man ihn brachte, weil er eine Polizeikontrolle mit dem Smartphone gefilmt hatte, ändern nichts daran, dass sich das Parlament in Brüssel sicherer fühlt als an seinem vertraglich festgelegten Sitz Straßburg.

Langsam fällt es schwer zu glauben, dass man es eilig hat, das Europäische Parlament wieder an seinem Sitz tagen zu lassen. Die Argumente klingen vorgeschoben, zumal bei den aktuellen Sitzungswochen gar keine Europaabgeordneten anwesend sein werden. Da wäre es doch tatsächlich einfach gewesen, die nächsten Sitzungen dort zu organisieren, wo sie eigentlich stattfinden sollten. Aber Brüssel, Hauptstadt der Lobbyisten und der Politik der verschlossenen Türen, hat Hochkonjunktur. Denn in Straßburg ist alles zu offen, zu transparent, zu wenig auf die Wünsche der Interessensvertreter der Wirtschaft ausgerichtet. Ist Brüssel die Hauptstadt der institutionalisierten Korruption, ist Straßburg die Hauptstadt des „Europas der Bürger“ und so viel Bürgernähe stört die Lobby-Verbände nur.

Mit jedem Monat, den das Parlament vertragswidrig von Brüssel aus tagt, entfernt es sich weiter von Straßburg. Erneut wurde eine Gelegenheit ausgelassen, durch eine ziemlich einfache Maßnahme die nächsten Sitzungen von Straßburg aus zu leiten und dem Parlamentssitz Straßburg gerecht zu werden. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht, doch in der Zwischenzeit zementiert Brüssel seinen nicht gerechtfertigten Anspruch auf den Sitz des Parlaments. Dem gilt es entschieden gegenzusteuern, will man nicht den Anschein erwecken, als würden die Institutionen der Europäischen Union nur noch nach der Pfeife der Lobbys tanzen.

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