Und in Deutschland?
Frankreichs Präsident Macron hat das Parlament aufgelöst und hektisch Neuwahlen ausgeschrieben. Auch in Deutschland wird die Forderung nach Neuwahlen immer lauter.

(KL) – Im Grunde sind Emmanuel Macron und Olaf Scholz ein einer vergleichbaren Lage. Beide haben das Vertrauen ihrer Bevölkerungen verloren und bei der Europawahl am 9. Juni erreichte Macrons Partei nur 14,9 % der Stimmen, während Scholz’ SPD auf 13,9 % kam. Im Klartext bedeutet dass, dass mehr als 8 von 10 Wählern ihren jeweiligen Staats- und Regierungschefs nicht mehr folgen. Dass Macron bei einem erneuten Versuch der Manipulation der Franzosen das Parlament aufgelöst und mit unglaublicher Hektik Neuwahlen am 30. Juni und 7. Juli ausgeschrieben hat, ist kein Zeichen demokratischen Verständnisses, sondern im Gegenteil, der Versuch, die französische Politiklandschaft komplett zu ruinieren, in der vermessenen Hoffnung, dass die Wählerschaft irgendwann verzweifelt wieder nach dem großen Führer ruft, für den er sich immer noch hält. In Deutschland ist die Situation anders.
Olaf Scholz wird alles daran setzen, seine nicht mehr funktionierende Ampel-Koalition bis zum nächsten regulären Wahltermin im Herbst 2025 aufrecht zu erhalten. In der aktuellen Situation den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, würde Deutschland in das gleiche politische Chaos stürzen, wie es Macron gerade den Franzosen zumutet. Nun hat Frankreich noch nie die Erfahrung der „Weimarer Republik“ gemacht, die Deutschland im letzten Jahrhundert erlebt hat. Dass maximale politische Instabilität und einige andere Parameter wie Wirtschaftskrise (haben wir mit der Inflation und den „Handelskriegen“ mit den BRICS-Staaten), externe Konflikte (haben wir in der Ukraine und in Israel/Gaza) und eine generelle Unzufriedenheit mit den handelnden Politikern (haben wir, siehe Ergebnisse der Europawahl) die Vorstufe zu totalitären Systemen sind, das haben die Soziologen und Politologen seit langem festgestellt.
Dass Macron seinen Landsleuten eine „République de Weimar“ zumutet, in der Hoffnung, damit seine eigene politische Karriere zu retten, ist das Problem der Franzosen. In Deutschland ist die Situation eine andere und in einer solch aufgewühlten Situation Neuwahlen auszurufen, wäre höchst verantwortungslos. Dass die Ampel am Ende ist, zeigen nicht nur die Zahlen (zusammen kommen die Ampelparteien mühsam noch auf 30 %), sondern auch die Zerstrittenheit der SPD, der Grünen und der FDP zu praktisch allen Sachthemen – eine gemeinsame Regierung sieht anders aus.
Dazu muss man sich im Klaren sein, dass es sich beim Anstieg der Rechtsextremen in Frankreich und Deutschland nicht um dasselbe Phänomen handelt. In Frankreich sind die Rechtsextremen, trotz ihrer teilweise heftigen Thesen zu Themen wie Einwanderung, Europa, Ukraine etc. weitaus gemäßigter als die AfD in Deutschland, die sogar Kriminelle in die Europawahl geschickt hat und trotz deren Skandalen rund ein Sechstel der Wählerstimmen erhielt. Angesichts des Umstands, dass sich ein Parteiprominenter wie Björn Höcke selbst als „Faschist“ bezeichnet, dass der Spitzenkandidat bei der Europawahl die SS verharmlost und der neofaschistische Charakter der AfD inzwischen beim Verfassungsschutz aktenkundig ist, darf Olaf Scholz in dieser unruhigen Zeit keine Neuwahlen ausrufen, denn in Deutschland macht sich 2024 wieder die „Lust am Untergang“ breit.
Dazu macht es wenig Sinn, ein Jahr vor einer programmierten Bundestagswahl einen hektischen, populistischen Wahlkampf loszutreten, der inhaltlich genauso wenig bringen würde die die jämmerliche Kampagne für die Europawahl. Will man Deutschland politisch wieder halbwegs in die Spur bringen, muss man jetzt den Parteien dieses eine Jahr zugestehen, um in einer umgekrempelten Politiklandschaft tragfähige politische Konzepte und Kooperationen vorzubereiten.
Während viele in Deutschland neidisch nach Frankreich blicken, sollte man sich nicht täuschen. Die Neuwahlen in Frankreich sind einmal mehr ein politischer Taschenspielertrick eines Präsidenten, dem seine Landsleute und sein Land ziemlich egal sind, der lediglich seine Macht erhalten will. Olaf Scholz sollte sich davon nicht beeindrucken lassen und Deutschland nicht in ein unüberschaubares politisches Chaos stürzen. Bleibt zu hoffen, dass Olaf Scholz im Gegensatz zu Emmanuel Macron nicht im Geschichtsunterricht gefehlt hat und sich des Risikos einer „Weimarer Republik 2.0“ bewusst ist. Wenn sich der „Motor Europas“ gemeinsam dafür entscheiden sollte, Deutschland und Frankreich den Rechtsextremen und Neofaschisten in den Rachen zu werfen, wäre die nächste Katastrophe programmiert. Ob die Menschen das dieses Mal verhindern werden?
Wer verantwortungsvoll Politik in Deutschland betreiben will, sollte sich hüten, weiterhin Neuwahlen zu fordern. Wer politische Veränderungen will, der soll 2025 wählen gehen und bis dahin müssen neue politische Konzepte auf dem Tisch liegen. Jetzt sind die Parteien gefordert, den immer präsenteren Populismus durch Inhalte zu ersetzen.
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