Und jetzt Italien?

Brüssel öffnet aufgrund der zu hohen Neuverschuldung den Weg für ein Strafverfahren gegen Italien – das nächste europäische Armdrücken steht ins Haus.

Zwei zuletzt ziemlich gefledderte Fahnen... Foto: Andreas Schwarzkopf / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Noch ist der Brexit nicht in trockenen Tüchern, noch weiß Europa nicht, wie man mit den widerspenstigen und nicht sehr europäisch handelnden Visegrad-Staaten umgegangen werden soll, da steht der EU der nächste Ärger ins Haus. Doch das Armdrücken Brüssels gegen die Regierung in Rom könnte unabsehbare Folgen haben, denn Italien wird sich nicht den Wünschen Brüssels beugen. Ist das Beginn des „Italexit“?

Alle EU-Mitgliedsstaaten müssen ihre nationalen Haushalte bei der EU-Kommission in Brüssel einreichen, wo überprüft wird, ob der jeweilige Haushalt verschiedenen vertraglich vereinbarten Kriterien entspricht, so beispielsweise die europäischen Stabilitätskriterien. Das allerdings ist bei dem von Italien eingereichten Haushalt nicht der Fall. Mit einer Neuverschuldung in Höhe von 2,4 % des BIP erreicht die Gesamtverschuldung Italiens 130 % der nationalen Wirtschaftsleistung – erlaubt sind 60 %. Und deswegen erklärte nun die EU-Kommission, dass es sinnvoll wäre, ein Strafverfahren gegen Italien einzuleiten, das zu Milliarden an Strafzahlungen führen könnte, die Italien, das sich von der EU ungerecht behandelt fühlt, nicht zahlen wird. Der Konflikt ist programmiert.

Fairerweise muss man dazu sagen, dass Italien keineswegs alleine mit zu hohen Gesamtschulden dasteht. Auch andere EU-Mitgliedsstaaten liegen deutlich über den erlaubten 60 % Gesamtverschuldung. Zypern, Belgien, Irland, Portugal, Spanien und Griechenland liegen allesamt über 100 % Staatsverschuldung, und selbst der „deutsch-französische Motor Europas“, Deutschland (71,2 %) und Frankreich (96,0 %) erfüllt die selbst gesteckten Kriterien nicht.

Dass sich die EU-Kommission nun den italienischen Haushalt vorknöpft, ist durchaus politisch zu verstehen. Denn der Grund für die hohe Neuverschuldung Italiens sind die Pläne zur Umsetzung von Wahlversprechen der links-rechts-extremen Regierung Italiens. Einführung eines Grundeinkommens, Erhöhung von Gehältern im öffentlichen Dienst, früheres Renteneintrittsalter – das sind die Punkte, die Italiens Regierung nun auf Pump finanzieren will. Alles Punkte, die politisch sinnvoll sind, aber eben auch finanziert werden wollen. Italien würde diese Sozialprogramme gerne auf Kredit finanzieren, wissend, dass solche Kredite faktisch einer europäischen Gemeinschaftshaftung unterliegen, und genau das lehnt die EU ab.

Die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Italien ist Öl auf das Feuer der Europagegner in Italien. Und hier muss sich die EU auch einmal an die eigene Nase fassen. Seit Jahren werden EU-Beschlüsse zur Umverteilung von Italien und Griechenland ankommenden Flüchtlingen nicht umgesetzt und in Italien herrscht immer mehr das nachvollziehbare Gefühl, dass Europa Solidarität mit der EU einfordert, sich die EU aber nicht solidarisch mit Italien verhält. Dass es der französische Präsident Emmanuel Macron für nötig hielt, den Italienern mangelnde Solidarität und Humanismus vorzuwerfen (nachdem er selbst das Flüchtlingslager in Grande Synthe einstampfen und alle französischen Häfen für NGO-Hilfsschiffe schließen ließ), schürte nur weiter das Gefühl, von Europa alleine gelassen zu werden. Insofern wird ein von der EU-Kommission gefordertes Strafverfahren gegen Italien lediglich eines werden: eine wunderbare Plattform, auf der sich die linken und rechten Extremisten in der italienischen Regierung als Retter der italienischen Souveränität darstellen können. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass ein zerknirschter Salvini kleinlaut eine Strafe zahlen und seinen Haushalt anpassen wird?

Doch leider haben manchmal auch die Extremisten recht. Die EU hat Italien mit vielen Ereignissen der letzten Zeit sträflich alleine gelassen. Während man 6 Milliarden Euro in der Türkei verpulverte, damit der dortige Machthaber einen seltsamen Flüchtlingsdeal mit der EU eingeht, hat man Italien alleine gelassen. Dazu kommen verschiedene Naturkatastrophen, unter denen Italien in letzter Zeit zu leiden hatte und bei denen die EU ebenfalls nicht die Hilfe leistete, die angebracht gewesen wäre. Mit einem seit Jahren unsolidarischen Verhalten der EU gegenüber Italien (aber auch Griechenland, Zypern und anderen) hat die EU selbst eine antieuropäische Stimmung in Italien hervorgerufen und damit selbst den Extremisten zu deren Wahlerfolgen verholfen.

Es ist aber schlicht nicht korrekt, wenn nun Italien sanktioniert werden soll, während andere EU-Mitgliedsstaaten wie Polen, Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik der EU auf der Nase herumtanzen, wie es ihnen gefällt, wissend, dass die immer noch vorherrschende Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen verhindert, dass auch nur eines dieser Länder für sein unsolidarisches und wenig europäisches Verhalten sanktioniert wird. Aber Italien?

Statt eines blödsinnigen Armdrückens zwischen der EU-Kommission und der italienischen Regierung wäre es sinnvoller, endlich, endlich, endlich damit zu beginnen, ein neues europäisches Projekt aufzusetzen. Europa muss föderalistisch werden, sich schlanke Strukturen geben, die EU-Kommission abschaffen und das Europäische Parlament aufwerten. Solange es Europa nicht schafft, für die Menschen wieder attraktiv zu werden, geht die Implosion Europas unaufhaltsam weiter. Italien ist nicht der Prügelknabe Europas, weswegen man nun ein solches Strafverfahren bleiben lassen sollte. Es sei denn, man will Salvini & Co. noch stärker machen. Oder man möchte, dass nach den Briten auch die Italiener die europäische Tür zuschlagen. Und das wäre dann der europäische Super-GAU.

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