Und niemand spricht mehr über Straßburg…

Sitzung des Europäischen Parlaments in – Brüssel. Und inzwischen ist das normal, niemand erwähnt mehr Straßburg oder eventuelle Kompensationen.

Keine Abstände, keine masken - ob das Europäische Parlament in Brüssel so viel besser aufgehoben ist als in Strasbourg?... Foto: (c) European Union 2020

(KL) – Ist die Entscheidung über den künftigen Sitz des Europäischen Parlaments bereits gefallen? Waren die Absagen der letzten Sitzungswochen in Straßburg noch eine Meldung wert, ist es heute schon fast eine Selbstverständlichkeit – das Parlament tagt im vom Coronavirus verseuchten Brüssel und zahlreiche Abgeordnete befinden sich in Brüssel, sind also angereist und untergebracht. Sie hätten genauso gut nach Straßburg reisen können.

Dazu passte auch die gestrige Diskussion im Brüsseler Parlament – wo die Abgeordneten erstaunt feststellten, dass Ungarn und Polen gerade dabei sind, den Rest der EU in Geiselhaft zu nehmen, indem sie ihr Veto gegen das EU-Rettungsprogramm für die vom Covid angeschlagenen Länder einlegen und damit eine schnelle und pragmatische Hilfe verhindern. Und zwar deshalb, weil ihnen die Bedingung der Rechtsstaatlichkeit nicht passt. Betretenes Schweigen gab es im Saal, als ein ungarischer Abgeordneter daran erinnert, dass die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit auch in anderen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden verletzt werden.

Aber zurück zu Straßburg. Beziehungsweise nach Brüssel, wo die Abgeordneten im baufälligen Parlamentsgebäude tagen (das erst vor 20 Jahren erbaut wurde, aber was kann man schon gegen „Pfusch am Bau“ unternehmen?). Aber immerhin ist man sich einig, dieses Gebäude demnächst nach dem „Welle-Plan“ für einen Betrag zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Euro zu renovieren. Dass in Straßburg perfekte Räumlichkeiten bestehen und dass Straßburg der in den Verträgen festgelegte Sitz des Parlaments ist, scheint niemanden zu interessieren.

Auffallend ist aber, dass man es heute nicht einmal mehr für nötig erachtet, einen „Covid-Plan“ für die Sitzungswochen des Parlaments zu definieren. Covid erklärt nicht alles, denn es wäre ein Leichtes, einen Sitzungsplan für die nächsten 12 oder 24 Monate zu erstellen und von diesen Sitzungswochen den größten Teil dort zu organisieren, wo das Parlament seinen Sitz hat – in Straßburg. Die elsässische Metropole verblasst langsam auf der europäischen Landkarte und wäre der ebenfalls in Straßburg ansässige Europarat nicht die aktivste und dynamischste europäische Institution, könnte man den Eindruck bekommen, dass Europa in Straßburg nicht mehr stattfindet.

Ja, der „Wanderzirkus“ ist ein Ärgernis, es gibt keinen Grund, dass das Parlament mit seiner ganzen Struktur zwischen Brüssel und Straßburg pendelt. Es gibt auch keinerlei Grund, dass dieses Parlament überhaupt in Brüssel tagt, denn dort ist nicht sein Sitz. Es gibt keinerlei logischen oder politischen Grund, Straßburg von der europäischen Landkarte zu streichen. Politisch ist die Aufteilung der Institutionen auf Brüssel, Luxemburg und Straßburg der Garant für die Gewaltenteilung des demokratischen Europas, logisch wäre es, würde man sich an die Verträge halten, statt klammheimlich Brüssel zum Sitz aller entscheidenden EU-Institutionen zu machen. Brüssel, das ist die Hauptstadt der Lobbys und der institutionalisierten Korruption, Straßburg, das ist der Sitz der einzig demokratisch gewählten europäischen Institution.

Die blutleeren Erklärungen der französischen Politik zu dem Thema, das laute Schweigen der deutschen Ratspräsidentschaft, all das spricht Bände. Nur – durch den Kniefall vor den Lobbys und Big Money in Brüssel verliert Europa seinen Inhalt und seine Daseinsberechtigung. Ein Verbund, der sich von zwei Ländern, denen das Konzept der Rechtsstaatlichkeit nicht passt, am Nasenring durch die Manege führen lässt, ist den europäischen Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr zu vermitteln. Dazu kommt in wenigen Tagen der „Hard Brexit“, dessen Folgen ebenso wenig abzusehen sind wie diejenigen der Coronakrise. Dem Brüsseler Europa geht es schlecht. Und das wird sich solange nicht ändern, wie die Institutionen den Weg zurück nach Straßburg nicht finden.

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