Und so funktioniert Frankreich…

Das deutsche föderale System und das zentralistische französische System sind weitgehend inkompatibel. Und das führt regelmäßig zu Problemen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Das politische System in Frankreich ist wie das "Millefeuille" in der Bildmitte - viele Schichten und dazwischen viel klebrige Creme... Foto: Thomom / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Deutschland und Frankreich haben grundlegend unterschiedliche Politik- und Verwaltungssysteme. Dies hat unter anderem zur Folge, dass wir nur schwer verstehen, welche Bedeutung die verschiedenen Wahlen auf den verschiedenen Ebenen haben. Eine andere Folge dieses Umstands ist es, dass es besonders im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit immer wieder schwierig ist, dass sich Ansprechpartner auf Augenhöhe begegnen, da sie meist nicht über die gleichen hierarchischen Kompetenzen verfügen. Aber schauen wir uns das einmal genauer an.

Über allem thront in Frankreich der Präsident. Anders als in Deutschland ist der französische Präsident mit einer unglaublichen Machtfülle ausgestattet. Unterstützt wird der Präsident von der Regierung, die ihrerseits von einem Premierminister geleitet wird, der vom Präsidenten bestimmt wird. Dazu kommen natürlich die Minister, die für ihre jeweiligen Ressorts verantwortlich sind. Präsident und Nationalversammlung werden von der gesamten Bevölkerung gewählt, nach dem „The winner takes it all“-Prinzip, das wir aus der angelsächsischen Welt kennen und das den Nachteil hat, dass systematisch fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler, die tatsâchlich ihre Stimme abgegeben haben, nicht in den Parlamenten repräsentiert werden.

Die französische Nationalversammlung wird, ebenso wie die zweite gesetzgebende Kammer, der Senat, in zwei Wahlgängen gewählt. Sie muss Gesetzesvorhaben zustimmen, doch ist das französische Parlament anders organisiert als das deutsche. Da in Frankreich Koalitionen nicht NACH einer Wahl eingegangen werden, sondern durch die Fusion der Kandidatenlisten zwischen den beiden Wahlgängen, ist das Konzept von Koalitionen auf nationaler Ebene in Frankreich unbekannt. Insofern spielt die Opposition in der französischen Nationalversammlung keine große Rolle. Sie kann lediglich die Regierung in Fragestunden kritisieren, nimmt aber am eigentlichen politischen Leben kaum teil. Der Senat, eine Art „Parkplatz“ für ausgediente Politikgrößen, mit denen man im politischen Alltag nicht mehr viel anfangen kann, muss Gesetzesvorhaben ebenfalls zustimmen, doch wenn der Senat ein Gesetzesvorhaben ablehnt, kann diese Ablehnung leichter überwunden werden als beispielsweise zwischen Bundestag und Bundesrat. Und wenn man sich tatsächlich nicht einigen kann, hat der Verfassungsrat das letzte Wort.

Die nächste Ebene ist diejenige der Regionen. Die Regionen, von denen es seit der verunglückten Gebietsreform 2015 jetzt noch 13 Stück gibt, lassen sich von der Größe her mit einem Bundesland vergleichen. Nicht aber, was die Kompetenzen angeht, die deutlich geringer sind. Gilt in Deutschland das Subsidiaritäts-Prinzip, nach dem Aufgaben auf der niedrigsten Ebene erfüllt werden, auf der dies möglich ist, behält sich der französische Zentralstaat immer das letzte Wort vor. Damit dies auch deutlich wird, gibt es in jeder Region und in jedem Departement einen Präfekten oder eine Präfektin, eine Art Stellvertreter des Zentralstaats in der Provinz. Aufgabe der Präfekten ist es, darauf zu achten, dass die Vorgaben der Zentralregierung auch vor Ort umgesetzt werden. Damit die Präfekten nicht etwa anfangen, mit der Region oder dem Departement zu fraternisieren, wo sie tätig sind, wechseln sie wie Diplomaten alle drei Jahre ihren Wirkungsort. Die Regionalräte werden ebenfalls gewählt und die Regionen verwalten durchaus bedeutende Budgets und sind für zahlreiche Themen zuständig, aber – immer unter Kontrolle des Zentralstaats.

Die nächste Ebene sind die Departements. Die ebenfalls gewählten Departements-Räte haben spezifische Kompetenzen, beispielsweise im Sozialbereich, um die permanent mit dem Zentralstaat gerungen werden muss. So ist einer der interessanten Aspekte der gerade gegründeten „Collectivité Européenne d’Alsace“, dem Zusammenschluss der Departementsräte der beiden elsässischen Departements Haut-Rhin und Bas-Rhin, der Erhalt neuer Kompetenzen, was beispielsweise die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, aber auch die regionale Kultur und Sprache oder den Tourismus anbelangt.

Auf der nächsten Stufe finden wir die Stadtregierungen und deren Stadt- oder Gemeinderäte. Soziales, Wohnungsbau, Urbanismus – das sind typische Zuständigkeiten der lokalen Ebene. Auch um diese Kompetenzen (und die damit verbundenen Budgets) gibt es ständig Reiberein zwischen den verschiedenen Ebenen.

Und wo ordnet sich nun die neue „Collectivité Européenne d’Alsace“ (CEA) ein? Kleiner als eine Region, grösser als ein Departement, weniger Kompetenzen als eine Region, aber mehr als ein Departement – erst die Praxis kann zeigen, wo genau diese neue CEA zu verorten sein wird.

Seit Jahren versprechen alle sich folgenden Regierungen, gegen den französischen Zentralismus vorgehen und die Regionen stärken zu wollen. Doch in der Praxis passiert genau das Gegenteil. Die Zentralregierung, die ein historisches Misstrauen gegenüber den Provinzen pflegt, intensiviert und perfektioniert die Überwachung der Regionen und Departements, verteilt ab und zu ein „Bonbon“, behält aber ständig die Kontrolle über das politische Geschehen.

In Frankreich gelangen immer mehr Menschen zu der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, die VI. Republik in die Wege zu leiten. Nur – welches System schafft sich schon gerne selber ab? Die Akteure der V. Republik haben sich hervorragend mit diesem System arrangiert, das so ausgelegt ist, dass die politischen Akteure persönlich vom Status Quo profitieren. Und wer sägt schon gerne an dem Ast, auf dem er sitzt? Angesichts der seit 2018 schwelenden Sozialkonflikte muss man aber leider mit der Möglichkeit rechnen, dass diese V. Republik eines Tages vom aufgebrachten französischen Volk abgeschafft wird.

Dazu kommen noch zahlreiche weitere Instanzen, zum Beispiel im grenzüberschreitenden Bereich die Eurodistrikte, die über „Scheinkompetenzen“ verfügen und noch nicht einmal eine einheitliche Rechtsform haben. Daher befinden sich die verschiedenen Pläne, diesen Strukturen künftig mehr staatliche Kompetenzen zu verleihen, noch in ganz weiter Zukunft.

Man wird sehen, wie sich die neue CEA entwickeln wird. Sollte die CEA einfach eine weitere Verwaltungsebene im „Millefeuille administratif“ (dem „Verwaltungs-Blätterteig“) werden, dann wird sie eine schwierige Zukunft vor sich haben. Nutzt sie allerdings konsequent die ihr gebotenen Möglichkeiten, könnte sie eine hocheffiziente Ebene werden, die vor allem der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit neue Impulse geben kann.

Doch unter dem Strich ist es wie überall auf der Welt – es sind nicht die Systeme, die unsere Politik gestalten, sondern die Personen, die diese Systeme mit Leben füllen müssen. Das sollte uns allerdings nicht davon abhalten, eben diese Systeme zu straffen, effizienter zu gestalten und endlich mit dem feudalen Machtgehabe aufzuhören, das auf allen diesen Ebenen üblich ist. Es wäre an der Zeit, überall die politischen Systeme den Realitäten des 21. Jahrhunderts anzupassen als weiterhin zu versuchen, die Realitäten in längst überholte Politiksysteme zu pressen.

1 Kommentar zu Und so funktioniert Frankreich…

  1. Danke für den Artikel. Ja, abschaffen wäre angebracht. Das Micromanagement durch Pariser Nuntiusse mit Verfallsdatum kann nicht im Sinne regionaler Interessen sein.

Hinterlasse einen Kommentar zu Ein Leser Antworten abbrechen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste