Und täglich grüßt das Wahl-Murmeltier

Als ob es mit der wiederholten Wahl aufgrund der vielen Unregelmäßigkeiten im September 2021 nicht reichen würde, erwägt die Wahlleitung in Berlin eine Neuauszählung der Stimmen.

Die politische Grosswetterlage über Berlin ist immer noch ziemlich grau... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – 105 Stimmen. Dies ist der Unterschied zwischen der zweitplatzierten Partei (SPD, 18,4 %) bei der Berliner Senatswahl und der drittplatzierten Partei (Die Grünen, 18,4 %). Da in Berlin aber niemand so richtig mit dem Wahlsieger Kai Wegner (CDO, 28,2%) koalieren will, wird es sehr wahrscheinlich zu einer Neuauflage der „roten Koalition“ SPD-Grüne-Die Linke kommen. Und plötzlich machen die 105 Stimmen Unterschied richtig viel aus, denn in einer Koalition wird normalerweise der Kandidat der stärksten Partei auch der Regierungschef.

Hätten die Grünen 106 Stimmen mehr geholt, würde die nächste Regierende Bürgermeisterin in Berlin nicht Franziska Giffey (SPD) heißen, sondern Bettina Jarasch (Grüne). Noch nie haben im Stadtstaat Berlin 105 Stimmen ein derartiges Gewicht gehabt und angesichts dieses hauchdünnen Vorsprungs und seiner Bedeutung, überlegt Landeswahlleiter Stephan Bröchler eine Neuauszählung der Stimmen. Was dann bedeutet, dass der wahltechnische Murmeltiertag in Berlin weitergehen kann.

In der Zwischenzeit hat das Berliner Wahlergebnis vom Sonntag (sollte es dann bestätigt werden…) intensive Debatten über „Anstand“ in der Politik ausgelöst. Denn dass der eindeutige Wahlsieger Kai Wegner und die CDU, trotz ihres guten Ergebnisses, von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen bleiben, erscheint in der Tat seltsam, ebenso wie der durchaus wahrscheinliche Umstand, dass Franziska Giffey mit 18,4% und dem schlechtesten Ergebnis der SPD in Berlin seit 1950 (!) weiter Regierende Bürgermeisterin bleiben könnte. Aber was ist bitteschön „Anstand“ in der Politik?

Sollte es tatsächlich zur Fortführung der „roten Koalition“ in Berlin kommen, so wäre das in der Tat seltsam, aber letztlich nicht undemokratisch. Wenn eine Mehrheit der Berliner für drei „linke“ Parteien mit unterschiedlichen Ausrichtungen gestimmt hat und diese sich mit ihrer Mehrheit auf ein gemeinsames Programm einigen können, dann ist das nicht „undemokratisch“, sondern das Ergebnis des Wählerwillens.

Dass letztlich weniger als ein Drittel der Berliner für Kai Wegner und die CDU gestimmt haben, ändert nichts an der Tatsache, dass eben nicht einmal ein Drittel der Berliner für einen Regierungswechsel gestimmt haben. Aus dieser Position heraus die Regierungsmacht zu fordern, ist „undemokratischer“ als eine Neuauflage der „roten Koalition“.

Allerdings kann man sich auch wundern, dass sich eine Regierende Bürgermeisterin wie Franziska Giffey in ihrem Amt bestätigt fühlt, nachdem ihr gerade 81,6 % der Berliner das Mißtrauen ausgesprochen haben. Dieses „am-Posten-kleben“ wird von vielen Bürgern als „undemokratisch“ empfunden und die SPD in Berlin würde Größe zeigen, würde sie bei einer Neuauflage der „roten Koalition“ einen anderen oder eine andere Regierende(n) Bürgermeister(in) nominieren.

Aber jetzt muss man erst einmal abwarten, ob das Wahlergebnis so bestätigt wird oder ob das juristische Hick-Hack um die Gültigkeit des Ergebnisses so weitergeht wie bisher.

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