Und was ist von „Charlie“ geblieben?

Fünf Jahre nach den Terrormorden in der Redaktion der satirischen Wochenzeitschrift „Charlie Hebdo“ ist vom Ruf nach Pressefreiheit nicht viel übriggeblieben.

Die Betroffenheit war 2015 überall gross. Heute muss die Pressefreiheit wieder erkämpft werden. Foto: Pierre-selim / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Als am 7. Januar 2015 der Terror in der Redaktion der satirischen Wochenzeitschrift „Charlie Habdo“ einzog und zwei islamistische Terroristen 11 Menschen töteten, lief eine Welle der Solidarität durch Frankreich und die ganze Welt – „Je suis Charlie“, sagte ein Slogan, den fast jeder teilte. „Je suis Charlie“, das bedeutete, dass man rückhaltlos für die Freiheit der Presse und der Karikaturisten eintritt. Doch diese Welle der Solidarität mit den freien und unabhängigen Medien ebbte auch schnell wieder ab.

Heute ist von „Charlie“ nicht viel übriggeblieben, nur noch ein wenig Nostalgie. Heute schaut Europa zu, wie Julian Assange in einem britischen Gefängnis zu Tode gefoltert wird, als britisches Faustpfand für die Zeit nach dem Brexit, denn dann will man ja schließlich neue Freihandelsabkommen mit den USA abschließen und die USA erwarten die Auslieferung Assanges als Morgengabe. Doch Julian Assange ist „Charlie“, ein Symbol für einen freien Journalismus, der das Recht haben muss, Missstände und Fehlverhalten der Mächtigen anzuprangern.

Auch Edward Snowden ist „Charlie“ und auch bei Edward Snowden schaut die westliche Welt einfach weg. Kein europäisches Land ist bereits, ihm ein sicheres Asyl zu gewähren, die EU als ganzes ist genauso unfähig, die eigenen Absichtserklärungen zum Schutz von „Whistleblowern“ umzusetzen. Das 2015 ausgesprochene Glaubensbekenntnis für die Pressefreiheit ist längst wieder der „Kommunikation“ gewichen. Kein Wunder, gehören doch in vielen Ländern die landesweiten Leitmedien Finanzgruppen, Banken, Versicherungsunternehmen oder reichen Unternehmerfamilien, für die Medien Kommunikationsvektoren sind, aber keine Plattformen für unabhängigen Journalismus. Dass angesichts der Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Medien der freie Journalismus auf der Strecke bleibt, ist eine fast logische Konsequenz. Und eine sehr bedenkliche dazu.

Aber war nicht genau das die Botschaft, die nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ durch die Welt ging? Dass freie Medien ein gesellschaftlicher Wert sind, einer der Pfeiler einer funktionierenden Demokratie? Dass freie Medien zu schützen und zu fördern sind, da sie für die Vielfalt der Meinungen und verschiedene Blickwinkel auf die Tagesaktualität stehen? All das scheint schon längst wieder vergessen zu sein, man erinnert sich an „Charlie“, wie sich die Amerikaner an den 9/11 erinnern, wie man sich in Deutschland an den Breitscheidplatz erinnert, in einem Ritual, dessen Sinn schon nach wenigen Jahren verblasst. Pressefreiheit ist aber nichts, was bei lediglich bei Trauerritualen gefordert werden sollte, sondern etwas, das täglich erkämpft werden muss.

„Charlie“, das ist momentan vor allem Julian Assange. Verschiedene Internetgruppen setzen sich für den unter fadenscheinigen Anschuldigungen eingesperrten Julian Assange ein, den die Amerikaner zu gerne in die Hände bekämen, um ihn in einem Schauprozess zu 175 Jahren Gefängnis zu verurteilen. Wer heute noch behauptet „Je suis Charlie“, der muss sich für die Freilassung Julian Assanges einsetzen. Auf den verschiedenen Seiten im Internet findet man Musterbriefe an Abgeordnete in allen Ländern, Hintergrundinformationen und genaue Hinweise, wem man schreiben kann, um die Freilassung Julian Assanges zu fordern. Denn so lange Julian Assange im Gefängnis sitzt, kann niemand von uns „Charlie“ sein – und „Charlie“ ist heute genau so bedroht wie 2015. Es wird Zeit, dass sich das ändert.

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