Und wenn es jemand ganz anderes würde?

Die Kandidatenkür für die Nachfolge des Präsidenten des Europäischen Parlaments wird zur Farce. Jede Menge Kandidaten drängeln sich in den Vordergrund und überschlagen sich mit Peinlichkeiten.

Die Belgierin Helga Stevens könnte eine echte Alternative zu den anderen Kandidaten für die Präsidentschaft des EU-Parlaments werden. Foto: Helga2017.eu

(KL) – Wann immer ein wichtiger Posten wie derjenige des Präsidenten des Europäischen Parlaments zu besetzen ist, drängeln sich die Kandidaten. Zum einen diejenigen, die mal wieder etwas werden wollen und dann aber auch diejenigen, die von den Hinterbänken endlich mal ins Rampenlicht kämen. Und dann wird gedealt, gemauschelt, getrickst – ähnlich wie bei der Besetzung des Postens des Präsidenten der Europäischen Kommission 2014, als den 500 Millionen Europäerinnen und Europäern vorgegaukelt wurde, sie würden zum ersten Mal selbst den Präsidenten der Kommission wählen. Der dann eben doch hinter den verschlossenen Türen Brüssels ausgekungelt wurde, wobei das Ergebnis eher zufällig das war, das auch dem Wählervotum entsprach. Und genau dieses Gemauschel gehört zu den Gründen, warum die Menschen in Europa das Vertrauen in ihre Institutionen verlieren. Dabei gäbe es Alternativen.

Seit klar ist, dass Martin Schulz nach Berlin wechselt, um dort den ins Schloss Bellevue wechselnden Frank-Walter Steinmeier als Außenminister und vielleicht auch gleich Sigmar Gabriel als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2017 zu beerben, zirkulieren die Namen möglicher Nachfolger für den Posten des Parlamentspräsidenten. Da laut einem ungeschriebenen Gesetz nach dem SPD-Mann Schulz eigentlich ein Konservativer der EVP an der Reihe wäre, wartete man auf den EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber (CSU), doch hatten bereits andere Kandidaten ihren Hut in den Ring geworfen, wie der frühere französische Europaminister Alain Lamassoure oder inzwischen auch Guy Verhofstadt, beide erfahrene Europapolitiker, doch beide auch aus einer Generation, die eher für das bisherige Scheitern der Institutionen stehen und kaum als Hoffnungsträger für einen europäischen Neustart betrachtet werden können.

Der Unmut wächst. So kritisierte der Abgeordnete Arne Gericke (Familienpartei) die letztlich erfolgte Nominierung des Italieners Antonio Tajani als Kandidat der konservativen EVP-Fraktion als „Bankrotterklärung der stärksten Fraktion im Parlament“ und als „Politik der Versorgungsposten für einen abgehalfterten EU-Kommissar“. Und damit hat Gericke völlig Recht – statt Kandidaten zu bestimmen, die glaubhaft für europäische Reformen stehen, nominiert die EVP einen Kandidaten, der genau für das EU-System steht, das die Menschen entweder in die Arme von Extremisten, oder aber direkt von den Wahlurnen weg treibt.

Hauptkritikpunkt an der Nominierung Tajanis ist allerdings dessen bis heute nicht geklärte Rolle als EU-Verkehrskommissar im VW-Skandal, der bereits seit 2010 schwelt – und die EVP wird sich schwer tun zu erklären, warum man Tajani beispielsweise dem auch über die Fraktionsgrenzen hinaus anerkannten Lamassoure vorgezogen wurde. Da nützt es auch nicht viel, dass Manfred Weber trotzig betont, dass die ganze Fraktion hinter dem Kandidaten Tajani steht. Denn wenn das wirklich so ist, würde das lediglich bedeuten, dass die gesamte EVP-Fraktion das Gemauschel um VW gutheißen würde. Und deutlicher kann man eigentlich die Wählerinnen und Wähler nicht auffordern, nicht mehr für die eigene Partei zu stimmen…

Die Sozialdemokraten haben ebenfalls einen Italiener als Kandidaten für die Nachfolge von Schulz nominiert, Gianni Pittella, und damit dieses ungeschriebene Gesetz gebrochen, nach dem eigentlich kein linker Kandidat Nachfolger eines linken Präsidenten werden dürfte.

Bleibt neben den vielen Mauschel-Kandidaten noch eine große Unbekannte, die allerdings für eine Überraschung sorgen könnte.

Die Belgierin Helga Stevens, Kandidatin der Fraktion der Konservativen und Reformer, könnte im Januar bei der Wahl im Europäischen Parlament für eine Überraschung sorgen. Denn im Grunde hängt ihr als Einziger kein Makel des Gemauschels, kein Stigma des Versorgungspostens oder eines Proporzdeals nach, es wäre an der Zeit, dass eine Frau die Präsidentschaft des Parlaments übernimmt – und wenn sich die anderen Fraktionen bekämpfen werden, könnte Helga Stevens plötzlich als der ideale Kompromiss erscheinen.

Und irgendwie wäre es langsam mal an der Zeit, dass Europas Politik offener und transparenter wird und dass endlich die „alten Krokodile“ aus der europäischen Politik verschwinden, die sich über Jahre und Jahrzehnte als unfähig erwiesen haben, Europa dorthin zu führen, wo die Menschen es haben wollen. Diejenigen, die für die aktuelle europäische Sinnkrise verantwortlich sind, die immerhin ihren dramatischsten Ausdruck im „Brexit“ findet, sollten nicht noch mit hoch dotierten Posten belohnt werden, sondern endlich von der europäischen Politikbühne abtreten. Das wäre für alle Beteiligten am besten…

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste