Und wer bestimmt den künftigen Regierungschef Frankreichs?

Der Präsident ist in Frankreich der Staatschef. Doch das Regierungsprogramm muss vom Premierminister umgesetzt werden. Und wer bestimmt den Premierminister?

Die künftige Mehrheit in der Pariser Nationalversammlung wird grossen Einfluss auf die französische Politik haben. Foto: Getfunky Paris / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Artikel 8 der französischen Verfassung sagt es deutlich: Der Premierminister wird vom Präsidenten der Republik bestimmt, also momentan von Emmanuel Macron. Im Grunde kann sich Emmanuel Macron freihändig aussuchen, wen er als Regierungschef benennt. Dieser muss weder von den Kabinettsmitgliedern, noch vom Parlament und/oder dem Senat bestätigt werden. Und so lange der Präsident auch die Mehrheit in der Assemblée Nationale hat, stellt dies kein Problem dar. Komplizierter wird es allerdings, wenn der Präsident keine Mehrheit im Parlament hat (die neue Assemblée Nationale wird am 12. und 19. Juni gewählt und man rechnet damit, dass „La République en Marche“ die Mehrheit im Parlament verlieren wird).

Im Fall einer parlamentarischen Mehrheit des Parlaments jenseits der Präsidenten-Partei ist es Brauch, dass der Präsident einen Regierungschef aus den Reihen der neuen Mehrheit ernennt, was man dann „Cohabitation“ nennt. Dies hat Frankreich bereits mehrfach erlebt, 1986, 1993 und zuletzt 1997. Die „Cohabitation“ ist eine Situation, die von den Parteien nicht sonderlich geschätzt wird, da man sich anhand der aktuellen Themen mit dem politischen Gegner arrangieren muss, ähnlich wie in einer Koalition in Deutschland. In der Bevölkerung hat die „Cohabitation“ keine schlechte Presse, da sie verhindert, dass ein Präsident versucht, das Land alleine zu regieren, so, wie es in den letzten fünf Jahren der Fall war.

Natürlich könnte sich Macron weigern, diesen Brauch weiterzuführen, sollte er erwartungsgemäß die Mehrheit im Parlament im Juni verlieren. Doch käme dies einer Art „Staatsstreich von oben“ gleich und die Mehrheit im Parlament könnte die Politik der neuen Regierung weitgehend lähmen, es sei denn, Macron verlängert den am 31. Juli auslaufenden sanitären Notstand und regiert das Land weiterhin per Dekret und am Parlament vorbei. Nur – die Franzosen haben am Sonntag gegen eine Kandidatin gestimmt, von der sie befürchteten, dass diese versuchen könnte, die Demokratie auszuhebeln. Sollte nun der als „Schutz“ vor dieser Kandidatin gewählte Macron selbst die Demokratie aushebeln, könnte es in Frankreich erneut laut und gewalttätig werden.

Man darf gespannt sein, wie lange die Erkenntnis bei Macron anhält, dass nicht er gewählt wurde, sondern dass Marine Le Pen von den französischen Wählern nicht gewählt wurde. Und das ist nicht dasselbe, Macron hat die Mehrheit der Franzosen nicht auf seiner Seite, was sich bei den Parlamentswahlen im Juni auch in Zahlen ausdrücken wird.

Macrons Problem im Juni wird sein, dass sich bereits heute abzeichnet, dass es bei den Parlamentswahlen zu einem Clash zwischen links- und rechtsextremen Wahlbündnissen kommen wird. Entweder ernennt Macron dann einen Premierminister, gegen den oder die er seinen Wahlkampf mit harten Bandagen geführt hat, oder aber er versucht, gegen die demokratisch gewählte Mehrheit im Parlament zu arbeiten. Beides dürfte ihm reichliche Bauchschmerzen bereiten, zumal in diesem Fall seine Alleinherrschaft über Frankreich beendet wäre.

Das Format „wählt mich, sonst gibt’s Faschismus“ hat, wie immer, bei den Präsidentschaftswahlen noch geklappt. Bei den Parlamentswahlen werden seine Kandidaten und Kandidatinnen der „La République en marche“, des „MoDem“ und weiterer, kleiner Parteien in der Regierungsmehrheit die Quittung für fünf Jahre „Macronie“ bekommen.

Langsam dämmert es den Franzosen, dass etwas mit ihrem Wahlsystem nicht stimmt, wenn es zu solchen Konstellationen kommen kann. Doch diese Erkenntnis kommt etwas zu spät und man kann nicht unbedingt damit rechnen, dass sich in der kommenden Amtszeit etwas an diesem System ändern wird, denn während es für die Franzosen schlecht und teilweise sogar undemokratisch ist, nützt es denjenigen, die gerade an der Macht sind.

Obwohl am Sonntagabend halb Frankreich und ganz Europa über den Wahlsieg Macrons jubelte, kommt der Kater schneller als erwartet. Denn im Juni kann Frankreich in eine schwere Regierungs- und/oder Demokratiekrise stürzen. Und was dann passiert, ist heute völlig offen.

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